JULIA EXTRA BAND 0263
Geschrei im Salon und dem Wutanfall der kleinen Missy zu tun? Es war nicht zu überhören“, hakte Francesco nach.
„Es war kein Wutanfall“, erwiderte Gino.
„Dann das Weinen.“
„Wir sprechen später darüber, Francesco.“
„Du warst wütend auf Lisette, das weiß ich.“
„Du lässt wirklich nicht locker, oder?“ Gino sah Roxannas instinktiven Blick in seine Richtung. Sie schien sich unwohl zu fühlen, sagte aber nichts.
„Okay, okay, ich höre ja schon auf. Maria, gibt es noch Dessert?“, fragte Francesco die Haushälterin, als sie den Raum betrat.
„Im Salon steht mein Panforte mit Kaffee, wann immer Sie wollen.“
„Komm Pia, dein Onkel Francesco nimmt dich mit zum Spielen, während mein Magen Platz schafft für mehr von Marias Essen“, verkündete er. Wenn er Lust hatte, konnte er sehr gut mit Kindern umgehen.
„Darf ich auf deinen Schultern reiten, Onkel Francesco?“, jauchzte Pia.
„Na klar, auf geht’s!“ Francesco warf seine Nichte in die Luft und setzte sie dann auf seine Schultern. „Zieh deinen Kopf unter der Tür ein!“
Sie verschwanden, und auch Maria ging.
Es herrschte Stille.
Roxanna und ich sind im Schweigen besonders gut, dachte Gino.
Vermutlich war es ihre Spezialität.
Ehe sie sich eine Fluchtmöglichkeit oder ein anderes Gesprächsthema ausdenken konnte, forderte er: „Sag mir, was am Samstagmorgen passiert ist, als Pia ihr Kleid zerschnitten hat. Sag mir, was passiert ist, bevor ich ins Büro kam und euch drei gesehen habe.“
Ihre Schultern verspannten sich. „Nun, Lisette wollte, dass Pia aufhört, ihr Kleid zu zerschneiden, und Pia hat sich widersetzt.“
„Aber was hat Lisette gesagt? Dieselben Dinge wie heute Nachmittag? In derselben Tonlage?“
Roxanna antwortete zuerst nicht, dann meinte sie rasch: „Sie hat sie nicht geschlagen, Gino.“
„Du hast sie heute gehört?“
„Ich kam gerade die Treppe runter. Zu spät um sie zu hören, aber ich habe Pias rote Wange gesehen und mir denken können, was geschehen war.“
„Und du warst nicht überrascht.“
„Nein.“
„Du wolltest dich diplomatisch verhalten?“
„Ähm, ja, ich hielt es nicht für meine Angelegenheit, mich einzumischen.“
„Aber Lisette hat Pia angeschrien an diesem Tag?“
Roxanna schaute ihn einfach nur an.
„Du wusstest es also? Und hast mir nichts gesagt?“
„Ich bin nur der Ersatz für die Gartenarchitektin, Gino.“
„Du bist Pias …“ Er hielt inne. Es gab kein Wort für das, was sie für Pia bedeutete – oder für ihn –, und die Lücke in seinem Vokabular fühlte sich viel zu weit und zu tief und einfach viel zu falsch an.
„Ich bin ihre Freundin“, sagte Roxanna. „Aber Lisette ist ihre Tante. Und deine … nun … deine Geliebte, wie ich vermute. Oder baldige Geliebte. Das ist deine Sache“, fügte sie rasch hinzu. „Ich wollte etwas sagen. Ich hätte es auch getan, wenn sie Pia geschlagen hätte, denn das hätte die Grenze eindeutig überschritten. Aber nur ihre Worte und ihren Ton zu übermitteln …“ Sie schüttelte den Kopf. „Wenn du mir nicht geglaubt hättest, wäre das Ganze nur schlimmer geworden.“
Gino nickte, denn er erkannte die Wahrheit in dem, was sie sagte. Er konnte ihr nicht die Schuld geben, weil sie geschwiegen hatte.
„Entschuldige mich bitte, ich denke, ich lasse das Dessert heute ausfallen“, erklärte sie. „Ich muss Rowena anrufen, weil ich noch ein paar Fragen zur Arbeit im Garten für diese Woche habe, und jetzt dürfte ein guter Zeitpunkt sein, um sie zu Hause zu erwischen. Falls ich heute nicht mehr herunterkommen sollte …“
„Deine Zeit gehört dir, Roxanna“, entgegnete Gino. „Du musst mir keine Rechenschaft ablegen.“
Sie spreizte die Hände und schaute ein wenig hilflos. „Ich weiß, aber …“
Sie blickten sich an, und die Spannung zwischen ihnen war förmlich greifbar. Langsam stand sie auf, und es gab einen Punkt, an dem Gino glaubte, dass sie um den Tisch kommen und ihn berühren und ihm den Impuls – oder den Vorwand – geben würde, den er brauchte, um sie in die Arme zu ziehen und sein Verlangen auf eine Art zu stillen, wie er es mit Lisette nie hätte tun können, selbst wenn er ihr Angebot sofort angenommen hätte.
Doch Roxanna kam nicht zu ihm. Sie ging stattdessen zur Tür. Als Gino ihr hinterhersah – graziös und zierlich wie sie war –, wirkte sie verletzlicher als sonst, und der Raum erschien erheblich kälter, sobald sie fort war.
10. KAPITEL
„Rox, du warst
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