JULIA EXTRA BAND 0274
hasste es, mit anzusehen, wie beleidigend diese Frau den armen Gerard behandelte. Wie der Kronprinz sich wohl aufführen würde, daran wagte Lily kaum zu denken.
„Wann können wir Seine Hoheit erwarten?“, fragte sie die Prinzessin. Vielleicht konnte Gerard bis dahin eine Art Begrüßungskomitee zusammentrommeln.
Offenbar fand die Prinzessin es unter ihrer Würde, auf die Frage zu antworten. Dafür erwiderte Lady Ann: „Er ist bereits hier.“
„Ist Lady Penelope eingetroffen?“, wandte sich die Prinzessin gleichzeitig an Gerard, der augenblicklich erblasste.
„Lady Penelope?“, wiederholte Lily verständnislos. Wer, um alles in der Welt, war denn das?
„Die Tochter des Herzogs von Acacia“, erwiderte die Prinzessin ungeduldig. „Meine Sekretärin hat für sie reserviert.“
Hinter seinem Rücken schnippte Gerard diskret mit den Fingern. Daraufhin schlugen Karen und Barbara das Gästeverzeichnis auf, um nachzusehen. Lily wusste, dass keine Penelope darin aufgeführt war, ob Herzogstochter oder nicht.
„Nein“, sagte sie schnell, „sie ist noch nicht angekommen, aber ihre Zimmer sind vorbereitet. Sie wohnt in der Pampano-Suite.“
„Natürlich. Wie konnte ich das vergessen?“, bestätigte Gerard aufatmend und unterdrückte ein Grinsen.
Eine Suite mit diesem Namen gab es nicht. Als vor einiger Zeit ein russischer Würdenträger unangemeldet eintraf,hatte ein einfallsreicher Angestellter zwei benachbarte Zimmer in Windeseile in eine Art Suite umgewandelt. Nach ihm wurde sie später benannt. Und sie diente auch heute noch in Ausnahmefällen als Notlösung.
„Ausgezeichnet“, entgegnete die Prinzessin. „Dann ziehen wir uns jetzt zurück. Ich gehe davon aus“, fügte sie spitz hinzu, „dass unser Abendessen bereits bestellt ist.“
„Gewiss, Hoheit“, versicherte Gerard, und zu Lily gewandt, fragte er leise: „Glauben Sie, Sie schaffen es?“
Weil sie ihm die Unruhe ansah, erwiderte sie mit einer Zuversicht, die sie nicht empfand: „Bestimmt. Machen Sie sich keine Sorgen.“
„Wenn du das fertigbringst, glaube ich in Zukunft an Wunder“, murmelte Karen.
„Ich auch“, seufzte Lily. Sie wandte sich ab, um ins Büro zu gehen und beim Restaurant anzurufen. In diesem Moment setzte sich die Drehtür abermals in Bewegung.
Titel oder Vermögen beeindruckten Lily nur selten. Aber der Mann, der jetzt hereinkam, strahlte Energie und eine natürliche Überlegenheit aus, die ihr den Atem verschlugen. Wie verzaubert stand Lily da und blickte wie starr auf ihn.
Er war größer, als sie ihn sich vorgestellt hatte. Auf Fotos wirkte er eher gedrungen, was an seinen breiten Schultern und dem athletischen Körperbau liegen musste. Doch das Bemerkenswerteste an ihm waren die Augen: Ein derart helles und gleichzeitig intensives Blau hatte sie noch nie gesehen. Sie fragte sich, ob es am Kontrast zu seinem braun gebrannten Gesicht und den kohlenschwarzen Haaren lag. In jedem Fall faszinierend, dachte sie. Was immer der Grund auch sein mochte, als sich ihre Blicke kreuzten, spürte sie, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief.
Er sah fantastisch aus, und zu allem Überfluss war er auch noch ein Prinz! Kein Wunder, dass die Frauen bei seinem Anblick schwach wurden.
„Guten Abend“, sagte er. Seine Stimme klang tief und kultiviert, außerdem sprach er fast akzentfrei.
„Guten Abend, Hoheit.“ Die ungewohnte Anrede kam ihr nicht leicht über die Lippen.
„Sie wissen, wer ich bin?“
„Selbstverständlich.“
Sein Blick war offen und gleichzeitig durchdringend. „Meine Ankunft hat sich um einen Tag verfrüht. Ist das ein Problem?“
„Keineswegs.“ Seine Manieren schienen besser zu sein als die seiner Stiefmutter. „Was Ihr Abendessen betrifft, so wird es in Kürze geliefert.“
„Mein Abendessen?“
Prinzessin Drucille mischte sich ins Gespräch. „Wir haben bei Le Capitan bestellen lassen, Darling“, verkündete sie und lächelte gekünstelt.
Der Prinz musterte sie kühl. „Für heute Abend habe ich bereits andere Pläne.“
„Wie du möchtest.“
„Bitte zögern Sie nicht, uns Ihre Wünsche mitzuteilen, Hoheit“, mischte sich Lily höflich ein. „Wir möchten, dass Sie sich bei uns wohlfühlen.“
Lange sah er sie an. Sie spürte erneut die magische Anziehungskraft seiner blauen Augen. „Worum ich vor allem bitte, ist, dass man mich nicht stört.“
Einen Moment lang verschlug es Lily die Sprache. Das klang wie eine Zurechtweisung. Meinte er damit etwa sie
Weitere Kostenlose Bücher