JULIA EXTRA Band 0287
wenn sie zum Shopping ging. Dad hat sich geweigert, mitzukommen, aber sie wollte eine männliche Meinung, der sie vertrauen konnte.“
„Warum hast du mir vor all den Jahren nie von deiner großen Familie erzählt?“, wollte Jordan wissen. „Warum hast du mich in dem Glauben gelassen, du seist ein Einzelkind?“
Gino wusste, dass er ihr verständlich machen musste, warum er sie damals belogen hatte. Es würde nicht leicht werden.
„Hast du eine Vorstellung davon, was es heißt, der einzige Sohn in einer italienischen Familie zu sein?“
„Nein, nicht wirklich.“
„Ich war der Erbe meines Vaters – derjenige, der das Geschäft übernehmen würde, wenn er sich zurückzog oder starb. Egal wie weit ich zurückdenke – mein Vater hat mir jeden Tag gepredigt, wie meine Pflicht und Verantwortung gegenüber der Familie aussah. Falls ihm irgendetwas zustoßen sollte, wäre ich der Ernährer und Beschützer. Dass ich natürlich genauso wie er Ingenieur werden würde, wurde nie auch nur infrage gestellt. Gleichzeitig hat er mich immer ermahnt, mich an meine italienischen Wurzeln und meine Kultur zu erinnern. Deshalb wurde ich zum Studium auch nach Rom geschickt. Ich habe dort bei einer Tante und einem Onkel gelebt, bis ich meinen Abschluss hatte, wobei mein Vater es gern gesehen hätte, wenn ich dort auch gleich eine Frau kennengelernt hätte.“
„Ich verstehe“, sagte Jordan nachdenklich.
„Als ich nach vier Jahren Studium fertig war, hatte ich ein solches Heimweh nach Australien, dass ich von allem Italienischen die Nase voll hatte. Als ich schließlich nach Hause kam, wollte mein Vater, dass ich gleich in die Firma einsteige, aber ich habe dagegen aufbegehrt. Ich sagte ihm, dass ich mal eine Weile für mich sein müsse, um jeden Druck von mir abzustreifen. Widerwillig gab er mir ein Jahr, in dem ich tun und lassen könnte, was ich wollte. Wahrscheinlich hatte er einfach nur eingesehen, dass ich es auch ohne seine Zustimmung tun und dann nie zurückkommen würde. Ich habe ihm nicht gesagt, wo ich hinging, doch schließlich habe ich es meiner Mutter verraten. Nicht, wo ich lebte, aber wo ich arbeitete. So konnte sie mich auch kontaktieren, als Dad krank wurde.“
Gino griff nach Jordans Hand. „Ich wollte dich nicht verletzen“, schwor er aufrichtig. „Dennoch wusste ich, dass ich es tat. Ich war im Grunde genommen noch ein Junge, der sich als Mann ausgab, Jordan. Eigensüchtig und selbstverliebt. Doch jetzt bin ich erwachsen. Ich halte mich für sensibel und einfühlsam. Ich werde dich nicht noch einmal verletzen. Das verspreche ich.“
Jordan wollte ihm nur zu gerne glauben. Aber seine italienische Familie war immer noch ein großes Hindernis auf ihrem Weg zum Glück, genauso wie das Totenbettversprechen, das er seinem Vater gegeben hatte. Gino würde dieses Versprechen niemals brechen, indem er sie heiratete.
Doch nichts von alledem schien eine Rolle zu spielen, wenn Gino ihre Hand hielt und ihr tief in die Augen sah, so wie er es in diesem Moment tat.
„Es ist in Ordnung, Gino“, sagte sie sanft. „Ich verstehe jetzt, was vor zehn Jahren geschehen ist. Und ich verzeihe dir.“
„Du hast keine Vorstellung, was mir das bedeutet.“
„Weiß deine Mutter von mir?“
„Nein.“
„Wirst du ihr von mir erzählen?“
„Ja.“
„Wann?“
„Noch heute, wenn du möchtest.“
„Nein. Nein, das möchte ich nicht. Noch nicht.“
Sie wandte den Kopf ab und schaute aus dem Beifahrerfenster.
Draußen hatte es angefangen zu regnen – ein leichter Nieselregen.
„Ich war noch nie zuvor in Melbourne“, sagte sie schließlich.
„Es wird dir gefallen.“
Sie drehte sich wieder zu ihm um. „Woher willst du das wissen?“
Er lächelte. „Weil ich hier lebe.“
Da musste sie lachen. „Du bist ganz schön arrogant!“
„Selbstsicher, nicht arrogant.“
„Das ist doch nur Wortklauberei.“
„Du bist Anwältin. Gerade du solltest wissen, dass es einen großen Unterschied zwischen selbstsicher und arrogant gibt.“
„Wie würdest du mich denn beschreiben?“
„Wie viele Wörter darf ich benutzen?“
„So viele du brauchst. Was hast du an jenem allerersten Abend von mir gedacht, als wir uns in dem Restaurant trafen?“
„Hm. Mein erster Eindruck war, dass du unglaublich schön bist.“
„Das war alles?“
Gino grinste erneut. „Der männliche Eindruck von einer Frau ist bei der ersten Begegnung immer oberflächlich. Er wird von den Hormonen gesteuert. Am Ende des Abends wusste
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