Julia Extra Band 0294
aus der Stirn und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. „Wie definierst du denn Freundschaft?“
Sie nahm einen Bissen geröstetes Brot und Salat. „Freunde sind für dich da und halten zu dir, auch wenn du mal im Unrecht bist. Du kannst mit ihnen lachen und weinen. Sie kennen deine Schwächen und mögen dich trotzdem. Sie sind ein Teil deines Lebens.“
Er fühlte sich gekränkt. „Und nichts von alldem trifft auf uns zu? Willst du das etwa sagen?“
„Ist es denn anders?“
„Ich denke ja.“
„Harry, wir haben uns nie außerhalb der Firma getroffen und wissen sehr wenig voneinander.“
Starrsinnig schüttelte er den Kopf. „Sei nicht albern! Wir wissen sehr viel voneinander.“
Seine Verärgerung wuchs, als er ihre undurchdringliche, ja gleichmütige Miene betrachtete. Am liebsten würde er in diesem Moment etwas sagen oder tun, das sie aufrüttelte. Das war ihm zuletzt als Dreizehnjährigem passiert, der die Schulschönheit beeindrucken wollte. Delia Sherwood zu ärgern war im wahrsten Sinne des Wortes ein Kinderspiel gewesen – im Gegensatz zu Gina, die distanziert, kühl und unverkennbar skeptisch blieb.
Wie war dieses verrückte Thema überhaupt zur Sprache gekommen? Warum war ihm ihre Meinung so wichtig?
„Ich weiß immerhin, dass du zwei Schwestern hast, deine beste Freundin Erica heißt und du die Hunde deiner Eltern spazieren führst, um dich fit zu halten. Ist das etwa nichts?“ Selbst in seinen eigenen Ohren klang seine Äußerung geradezu bockig.
„Das sind nüchterne Fakten, keine Herzensdinge.“
„Was willst du damit sagen?“
Ungehalten seufzte sie. „Denk mal darüber nach.“
Harry aß die Vorspeise, ohne sie zu schmecken. Vom ersten Tag an herrschte eine traute Übereinkunft zwischen ihnen, die er als Freundschaft verstand – und es war wirklich Freundschaft, was immer Gina auch behauptete. Auch wenn sie sich noch so kühl und distanziert gab, bestand kein Zweifel daran, dass ein Funke übergesprungen war, selbst wenn keiner von beiden danach handelte.
Unnötig heftig spießte er ein Stück Paprika auf. Er hielt sich um ihretwillen zurück, aus Rücksicht. Denn er wusste, dass sie nicht der Typ für eine bedeutungslose Affäre war, und weil er ihr keine dauerhafte Bindung bieten konnte, beließ er es lieber bei einer lockeren Freundschaft. Doch das bedeutete nicht, dass keine Anziehungskraft herrschte.
Als der Kellner erschien und die leeren Teller abräumte, stand sie auf und griff zur Handtasche. „Ich gehe mir schnell die Nase pudern.“
Gedankenverloren blickte Harry ihr nach, während sie das Restaurant durchquerte. Er hatte allen Ernstes geglaubt, sie zu kennen. Doch nun wurde er eines Besseren belehrt. Er runzelte die Stirn. Die Person, die ihm an diesem Abend ins Gesicht sagte, dass ihr seine Freundschaft nichts bedeutete, war nicht die vertraute Angestellte, sondern eine Fremde. Eine wunderschöne sanfte Frau, zugegeben, deren Augen in einem Moment unsicher und verletzlich wirkten und im nächsten Feuer sprühten wie ihre Haare, und dennoch eine Unbekannte.
Er leerte sein Glas Wein, schenkte sich aber nicht nach, weil er noch fahren musste. Stattdessen griff er zu der Flasche Mineralwasser auf dem Tisch.
Tatsächlich hatte er sich eingebildet, dass Gina gewisse Gefühle für ihn hegte. Doch nun musste er davon ausgehen, dass sie mit einem anderem liiert war. Natürlich war es ihr gutes Recht. Er selbst hatte im letzten Jahr gleich mehrere kurzlebige Beziehungen gehabt. Doch bei ihr war es etwas ganz anderes. Mit finsterer Miene wurde er sich der Doppelmoral bewusst, die hinter diesem Gedanken steckte. Aber Gina berührte derart einen wunden Punkt, dass er sich selbst nicht mehr kannte. Und das bestätigte die Richtigkeit der Entscheidung, sich nicht mit ihr einzulassen. Mit ihr konnte er sich nur Ärger einhandeln. Trotz ihrer Aura der sanften Sinnlichkeit, die zum Träumen einlud – oder vielleicht gerade deswegen –, konnte ein Mann sich in ihrer Tiefgründigkeit verlieren.
Harry trank ein Glas Wasser und versuchte, sich zu entspannen. Es war lächerlich, sich so in diese Sache hineinzusteigern. Gina wollte Yorkshire bereits am kommenden Wochenende verlassen. Dagegen ließ Susan Richards ihn sehr deutlich wissen, dass sie für ein bisschen Spaß ohne Bindung durchaus zu haben war. Und sie entsprach genau seinem Typ.
Trotzdem wirkte sich diese Aussicht keineswegs positiv auf seine Stimmung aus, und er stellte das Wasserglas so heftig ab, dass es um ein
Weitere Kostenlose Bücher