Julia Extra Band 0294
zu sein“, sagte er. „Ich schlage vor, Sie suchen sich eine Arbeit.“
Nach dieser Abfuhr wich er zur Seite aus und ging, die Hände tief in die Manteltaschen gesteckt, seiner Wege. Hinter Lily rief jemand: „Das habe ich gehört! Soll ich ihm folgen und ihm eine Ohrfeige verpassen?“
„Meg!“ Der Bann war gebrochen, ihr Verstand kehrte zurück. Lily wirbelte herum und stand ihrer alten Schulfreundin gegenüber. Mit ihren knapp einsachtzig – damit überragte sie die zierliche Lily um fast zwanzig Zentimeter – war Meg in jeder Hinsicht ein großes Mädchen. Niemand legte sich mit ihr an … vor allem nicht, wenn sich auf ihrer Miene Vergeltungsgelüste abzeichneten.
Auf Lilys Wangen erschienen kleine Grübchen, als sie kicherte. „Vergiss es. Offensichtlich hat er mich für eine Bettlerin gehalten.“ Der abgetragene Mantel, die abgewetzte Cordhose und die alten Turnschuhe machten seine Annahme nur allzu verständlich. „Mir fehlt nur noch ein Pappschild und ein Hund an einem Strick.“
„Was dir fehlt“, warf Meg knapp ein, „ist Vernunft! Du bist dreiundzwanzig, ziemlich intelligent und arbeitest immer noch für fast gar nichts.“
Für gar nichts, korrigierte Lily stillschweigend Megs Einschätzung ihrer finanziellen Situation. „Das ist es wert“, erwiderte sie, ohne zu zögern. Ihr Job mochte nicht glamourös sein, reich wurde sie auch nicht, dafür wurde sie, was die emotionale Zufriedenheit anging, reichlich entschädigt.
„Ach, wirklich?“ Nicht überzeugt fasste Meg Lilys Arm in einem Griff, dem nur ein Profi-Wrestler hätte entkommen können. „Komm mit. Kaffee. Ich zahle.“
Fünf Minuten später hatte Lily den schlecht gelaunten Fremden und den seltsamen Effekt, den er auf sie ausgeübt hatte, vergessen. Stattdessen überließ sie sich der wohligen Atmosphäre im Alten Kupferkessel .
Sie setzten sich an einen der winzigen Tische, auf dem bereits zahllose Puppen versammelt waren, außerdem eine Kupferplatte mit der Speisekarte und eine verstaubte Vase mit künstlichen Tulpen.
Lily stellte die Sammeldose auf den Tisch, zog den regenfeuchten Hut vom Kopf und schüttelte das glatte karamellfarbene Haar aus. Sie lächelte, als sich ihnen eine untersetzte ältere Kellnerin mit einem beladenen Tablett näherte. Hastig sprang sie auf und half, Tassen, Zuckerdose, Kaffeekanne und ein kleineres Kännchen mit Sahne zu verteilen.
„Wie geht es Ihrem Enkel?“, fragte Lily die Kellnerin.
„Besser, danke. Er ist aus dem Krankenhaus entlassen worden. Sein Dad sagt, wenn er jemals auch nur ein Motorrad wieder anschaut, wird er ihm persönlich das Fell über die Ohren ziehen.“
„Das wird ihn lehren, Landstraßen mit Rennbahnen zu verwechseln“, meinte Meg mürrisch, was ihr ein Naserümpfen der Kellnerin einbrachte.
Die ältere Frau stupste die Sammelbüchse an. „Kein Wetter, um auf Spendenfang zu gehen! Hier war es heute den ganzen Morgen über so ruhig wie in einer Leichenhalle. Aber wenn ich es einrichten kann, komme ich zu Ihrem Wohltätigkeitsbasar nächste Woche.“
Lilys Miene verdüsterte sich, während sie der Kellnerin nachsah. Der halbjährlich stattfindende Basar schien diesmal nicht sehr erfolgversprechend zu werden. „Dies ist eine kleine Stadt“, vertraute sie ihre Sorgen der Freundin an. „Man kann Kleider, Bücher und die üblichen anderen Kleinigkeiten nicht unbegrenzt weiterverkaufen. Bislang waren die Spenden eher bescheiden … überwiegend Dinge, die alle schon kennen.“
„Vielleicht kann ich dir da helfen.“ Meg schenkte den Kaffee ein. „Weißt du schon, dass Felton Hall gerade verkauft worden ist?“
„Ach?“ Lily nippte an ihrer Tasse. Felton Hall, ein prächtiges Anwesen einige Meilen von dem Cottage ihrer Tante entfernt gelegen, war seit dem Tod des alten Colonel Masters vor sechs Monaten auf dem Markt. „Und wie soll mir das helfen?“
„Kommt darauf an, ob du den Mut aufbringst hinzugehen, bevor die Jungs für die Haushaltsauflösung anrücken.“ Meg grinste und rührte vier Löffel Zucker in ihren Kaffee. „Zusammen mit dem Haus ist auch die Einrichtung verkauft worden. Der einzige Sohn des Colonels lebt in der Stadt. Bestimmt besitzt er ein Penthouse. Du weißt schon, Stil: funktionaler Minimalismus. Auf jeden Fall hat er kein Interesse an dem altmodischen Krempel seines Dads. Auch der neue Besitzer legt keinen Wert auf die Sachen. Wenn du also ein süßes Lächeln aufsetzt, bekommst du vielleicht einige anständige Stücke für den
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