Julia Extra Band 0294
geheiratet.
Das Wissen, dass dieses Ereignis niemals stattfinden würde, ließ sie die Kraft finden, aus dem Zimmer zu gehen. „Ich werde dich nicht heiraten“, rief sie ihm über die Schulter hinweg zu. „Ich überlasse dir den Zeitpunkt, die schlechte Nachricht zu verkünden. Die Konsequenzen kannst du mit deinem eigenen Gewissen ausmachen … falls du eines besitzt!“
Ohne sonderliche Begeisterung betrachtete Lily ihr Spiegelbild. Sie hatte das rauchblaue rückenfreie Kleid – ohne Unterwäsche – angezogen, weil sie insgeheim hoffte, sich darin wie eine erwachsene Frau zu fühlen und nicht wie eine Marionette in den Händen eines erfahrenen Puppenspielers.
Es funktionierte nicht. Ihre Gedanken wirbelten in alle möglichen Richtungen. Ihr Entschluss, Paolos Antrag abzulehnen, geriet immer wieder ins Wanken. Ein Grund dafür war das erschütternde Gespräch mit ihrer Großtante vor wenigen Stunden.
„Ich möchte mit dir sprechen.“ Schon das Flüstern der alten Dame hatte ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt.
Verwundert war Lily ihrer Tante in den kleinen Salon auf der Rückseite der Villa gefolgt. Edith schloss die Türen und sah sich aufmerksam um, ob sie auch wirklich unter sich waren.
„Du weißt, dass Fiora und Carla planen, unmittelbar nach der Hochzeit zurück nach Florenz zu ziehen?“ Sie tat einen tiefen Atemzug, dann sprudelten die Worte aus ihr heraus. „Sie haben mich eingeladen, in Italien zu bleiben. Ich würde mit ihnen in Florenz wohnen! Ich glaube, es ist eine wunderschöne Stadt. Schon immer wollte ich sie besuchen, nur fehlten mir bislang Zeit und Geld!“
Sprachlos starrte Lily in die leuchtenden Augen ihrer Tante. Sie hatte keine Ahnung, wie sie darauf reagieren sollte.
„Was wird aus deinem Cottage?“, brachte sie schließlich hervor. „Aus Life Begins?“ Doch sie kannte die Antwort bereits.
„Life Begins geht es hervorragend. Wir haben mehr Freiwillige als zuvor, eine professionelle Spendensammlerin, Paolos Unterstützung. Und was das Cottage anbelangt … im meinem Testament werde ich es dir hinterlassen. Aber wenn du erst mit Paolo verheiratet bist, wirst du es kaum brauchen. Vielleicht sollte ich es besser verkaufen und mit dem Erlös mein Leben in Florenz finanzieren.“
„Dann steht dein Entschluss also fest?“
„So gut wie, ja. Fiora und ich verstehen uns ausgezeichnet. Andernfalls würde ich über einen Umzug gar nicht erst nachdenken. Und natürlich könnte ich so auch in deiner Nähe sein. Nicht, dass ich dich andauernd besuchen und dir auf die Nerven fallen würde, aber wir könnten uns so viel leichter sehen.“
Und da Lily nicht die erwartete enthusiastische Reaktion gezeigt hatte, fügte Edith selbstsicher hinzu: „Paolo habe ich bereits gefragt. Er findet die Idee fabelhaft.“
Darauf gehe ich jede Wette ein, dachte Lily jetzt. Dass für die anderen alles großartig und fabelhaft war, machte sie ganz krank. Sie wandte sich vom Spiegel ab. Schon wieder war sie ausmanövriert worden!
Sobald Edith die wahren Hintergründe erfuhr, würde sie ihr Vorhaben sofort aufgeben.
War sie, Lily, wirklich so herzlos, einer alten Dame den Luxus und die Annehmlichkeiten eines Lebens unter der Sonne Italiens zu verwehren?
Edith hatte nie geheiratet. Sie hatte als Lehrerin gearbeitet und nach ihrer Pensionierung Life Begins gegründet. Mit über fünfzig hatte sie Lily adoptiert. Ihr Leben war hart gewesen. Verdiente sie nicht endlich etwas Besseres?
Und um alles noch schlimmer zu machen, hatte Paolo sich in den letzten Tagen so warmherzig und aufmerksam – ja, sogar respektvoll – verhalten. Der perfekte italienische Verlobte. Sein Verhalten hatte dazu geführt, dass sie sich noch mehr in ihn verliebte. Aber selbstverständlich durchschaute sie seine Absichten, und in ihr wuchs geradezu eine gewisse Mordlust.
Auf die Verlobungsparty heute Abend freute sie sich ungefähr so wie auf den Termin für eine Wurzelbehandlung bei einem Zahnarzt. Seufzend schlüpfte sie in die hochhackigen Sandalen.
Die Gäste würden schon auf das glückliche Paar warten. Ihr Magen verkrampfte sich. Offensichtlich waren Paolos engste Freunde eingeladen worden … und seltsamerweise der Pfarrer des Ortes. Dazu natürlich die drei Cousins und eine Cousine.
Die vier waren vor einer Stunde eingetroffen. Lily war kaum Zeit geblieben, die drei Männer in ihren Anzügen, die allerdings ein recht träges Verhalten an den Tag legten, zu begrüßen. Auch die atemberaubende
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