Julia Extra Band 0295
klug. Und immer wachsam.“
Reese beobachtete Duncan. Sie hätte schwören können, dass väterlicher Stolz aus seiner Stimme und seinen Worten sprach. Das ist alles nur Show, ermahnte sie sich. Etwas anderes war nicht möglich. Aber es klang so echt und so liebevoll, dass sie es unbedingt einen Moment genießen wollte. Ebenso wie das Bild, wie ihr Ehemann ehrfürchtig ihren Sohn betrachtete, während seine sonst furchtbar hochmütigen Eltern zu seinen beiden Seiten saßen und ihre ganze Aufmerksamkeit auf das Baby richteten.
In den langen, dunklen Nächten, wenn nur der Traum von einem eigenen Kind sie vor dem Abgrund der Verzweiflung bewahrte, hatte sie sich genau dieses Bild ausgemalt.
Daniel unterbrach den Bilderbuchmoment, indem er spuckte. Einige Tropfen seiner Flaschenmilch landeten auf der Manschette von Louises Seidenbluse.
„Oh nein. Genau das hatte ich befürchtet!“ Louise verzog das Gesicht und reichte Duncan das Baby rasch zurück. „Ich versuche lieber gleich, den Fleck mit Wasser zu entfernen.“ Ihre feindselige Miene kehrte zurück, und sie eilte in Richtung Bad.
Reese seufzte stumm. Louises Bluse war möglicherweise ruiniert, der schöne Augenblick war es gewiss. Aber sie wäre naiv, wenn sie geglaubt hätte, dass die harmonische Stimmung ewig anhalten würde.
Duncan ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, sondern wischte die weiße Flüssigkeit mit dem Daumenballen von Daniels Mundwinkel. Das Baby hatte auch einige Spritzer auf seine Kleidung bekommen.
„Gibt ihn mir“, sagte Reese. „Ich werde ihn sauber machen. Es ist sowieso fast seine Schlafenszeit“, log sie.
Auf dem Weg zum Kinderzimmer kam sie am Bad vorüber. Louise hatte die Tür nicht ganz geschlossen, und sie entdeckte das Spiegelbild ihrer Schwiegermutter über dem Waschbecken. Der Schreck fuhr ihr durch Mark und Bein.
Louise hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen. Ihre Schultern waren eingesunken, und ihr ganzer Körper bebte. Sie weinte. Die Tränen galten nicht ihrer verdorbenen Bluse, dessen war Reese gewiss.
Nervös eilte sie weiter, um nicht entdeckt zu werden.
Kurz vor elf beschloss Reese, zu Bett zu gehen. Nachdem seine Eltern das Haus verlassen hatten, war Duncan ebenfalls weggegangen. Zwei Stunden später war er zurückgekehrt und war jetzt im Gästezimmer. Der Lichtschein unter der Tür zeigte ihr, dass er noch wach war. Sie zögerte einen Moment, dann klopfte sie an.
„Komm rein!“
Duncan war noch vollständig bekleidet und trug eine Kakihose sowie einen Pullover mit rundem Ausschnitt, der einige Nuancen dunkler war als seine Augen. Er lehnte an ein paar Kissen, die er an das Kopfteil des Bettes gelegt hatte. Die Zeitschrift auf seinem Schoß war ungeöffnet.
Reese suchte nach verräterischen Zeichen, wie und mit wem er den restlichen Abend verbracht hatte, fand aber keine.
„Ich gehe zu Bett“, sagte sie.
Er nickte. „Ist Daniel gut eingeschlafen?“
„Ja.“ Sie wartete, dass er noch mehr sagen würde, aber er schwieg. Sein Interesse an dem Baby, das so echt und aufrichtig gewirkt hatte, schien erloschen zu sein. Ebenso wie das seiner Mutter.
Sollte sie ihm erzählen, dass sie Louise hatte weinen sehen? Nein, lieber nicht. Es war solch ein intimer Augenblick gewesen. Außerdem war sie nicht sicher, was diese Tränen zu bedeuten hatten.
„Hast du noch einen Wunsch?“, fragte er spitz.
Ich möchte wissen, weshalb du heute Abend weggegangen bist.
Ich möchte wissen, wo du warst.
Ich möchte wissen, weshalb du dich jetzt so distanziert ver hältst.
Doch sie brachte die Worte nicht über die Lippen. Verlegen blickte sie durch das Zimmer. „Hast du alles, was du brauchst? Ich … ich habe dich nie gefragt.“
„Ich bin kein verdammter Gast in diesem Hause, Reese.“
Seine Verärgerung verblüfft sie. Weshalb war Duncan plötzlich so schlecht gelaunt?
„Krach mit Breanna gehabt?“, fragte sie so gehässig, dass sie selber erschrak.
„Ja. Und anschließend den tollsten Sex, den du dir vorstellen kannst. Das willst du doch hören, nicht wahr? Das willst du glauben, ganz gleich, was ich sage.“
„Duncan …“
Er schüttelte den Kopf und wedelte mit der Hand zur Tür. „Geh einfach, okay? Ich bin jetzt nicht in der Stimmung für eine Unterhaltung.“
Duncan beobachtete Reese aufmerksam. Sie runzelte die Stirn, als hätte seine Schroffheit sie verblüfft. Wusste sie nicht, wie schwer der heutige Tag für ihn gewesen war? Wie schwer diese ganze Situation für ihn war? Mit einer
Weitere Kostenlose Bücher