Julia Extra Band 0297
der Vater war, konnte er sie überreden, nach Hause zurückzukehren.
Mit der Hilfe ihrer Großmutter gelang es Estelle, bis zur Geburt ihrer Tochter Rebecca clean zu bleiben. Doch nur einen Monat später starb sie an einer Überdosis Heroin. Damals war sie fünfundzwanzig – zwei Jahre jünger als ihr Onkel James.
Rebeccas Großeltern, die immer noch ihr Jetset-Leben genossen, interessierten sich genauso wenig für das Wohlergehen ihrer Enkelin wie zuvor für das ihrer eigenen Tochter. Wieder stellten sie Kindermädchen ein, und damit hatte es sich. Als Rebecca ein Jahr alt war, starb unglücklicherweise ihre Urgroßmutter. Da James damals sein eigenes Leben in London lebte, sah es ganz so aus, als würde Rebecca noch einsamer aufwachsen als ihre eigene Mutter.
Doch dann funkte das Schicksal dazwischen. Laurence und Joy starben bei einem Lawinenunfall in der Schweiz, woraufhin James den Titel Earl of Winterborne erbte. Er nahm nicht nur die Zügel in Winterborne Hall in die Hand, sondern trat auch die Vormundschaft für seine Großnichte an. Endlich erfuhr die Kleine Liebe und Zuwendung, als das Schicksal erneut zuschlug und Rebecca Leukämie bekam.
Seine Lordschaft war am Ende der Erzählung angekommen, und genau in diesem Moment brach der Himmel auf, und ein Sonnenstrahl fiel durch das Fenster direkt auf Marinas Gesicht.
Sie blinzelte, dann lachte sie leise. „Ich hoffe, das ist ein gutes Zeichen. Ja, das glaube ich wirklich. Ich meine … wie groß waren die Chancen, eine nahezu perfekte Übereinstimmung zu Rebecca zu finden? Eins zu einer Million?“
Als sie den Kopf zu ihrem Beifahrer drehte, stellte sie fest, dass er sie mit seinen blauen Augen eindringlich ansah. „Ja, ich würde sagen, das beschreibt Sie ziemlich genau“, erwiderte er todernst.
Bei diesem Kompliment schlug ihr Herz schneller. Ihr Lachen klang gezwungen. „Was für ein Schmeichler Sie sind, Mylord. Sie werden mir noch den Kopf verdrehen, wenn Sie nicht aufpassen.“
Er antwortete nicht, und sie fand sein Schweigen noch beunruhigender als den intensiven Blick. Was dachte er? Fühlte er auch etwas? War er nur neugierig und musterte sie deshalb so eindringlich? Die Anziehung war bestimmt nicht gegenseitig – oder vielleicht doch?
Marina schluckte schwer und überlegte fieberhaft, was sie sagen konnte. Irgendetwas.
In dieser Situation kam er ihr zu Hilfe. „Ich nehme an, dass Sie noch nie in London gewesen sind?“
„Doch. Vor ein paar Jahren. Ich bin mit einem ganz kleinen Budget rübergekommen und habe alle die typischen Touristen-Dinge gemacht, die ich mir leisten konnte: den Wachwechsel am Buckingham Palace, Madame Tussaud’s und den Tower, ganz zu schweigen von all den Museen und Galerien. Zumindest diejenigen, die keinen Eintritt kosteten“, lachte sie.
„Waren sie im Theater?“
„Himmel, nein. Das war viel zu teuer!“
„Dann führe ich Sie dorthin aus, wenn Sie möchten.“
Sie warf ihm einen scharfen Blick zu, doch in seinem Gesicht las sie nicht mehr als reine Höflichkeit.
„Oh, ich … ich glaube nicht, dass ich die Zeit dazu haben werde, oder? Nicht wenn ich auch noch ein paar Tage auf Winterborne Hall verbringen soll.“
„Dann kommen Sie also doch mit?“
„Ich … nun … Sie sagten, dass Sie kein Nein akzeptieren.“
Aus irgendeinem Grund klang sein Lachen nicht besonders glücklich. „Ich hätte aber niemals geglaubt, dass Sie dieser Art von männlichem Druck nachgeben.“
Was für eine provokative Äußerung, dachte Marina. Männlichem Druck nachgeben. Vor ihrem inneren Auge sah sie eine versuchte Verführung und eine beinahe unwillige Kapitulation.
Während ihr weiblicher Instinkt sie davor warnte, nach Winterborne Hall zu fahren, konnten sie plötzlich keine noch so berechtigten Zweifel mehr davon abhalten. Sie wollte seinen Familiensitz sehen, wollte ihn in dieser Umgebung erleben, wollte in einem der zahlreichen Gästezimmer schlafen – und wenn es nur darum ging, dass sie eine Nacht vom Herrn von Winterborne Hall träumte.
„Es geht nicht darum, männlichem Druck nachzugeben“, erklärte sie fest, „ich würde einfach gern Rebeccas Zuhause sehen. Allerdings kann ich nur wenige Tage bleiben. Ich muss wirklich so schnell wie möglich nach Australien zurück.“ Zurück in die reale Welt, ermahnte sie sich streng. Weg aus dieser Fantasie.
„Sie müssen Ihren Verlobten vermissen“, bemerkte er. „Wie war noch sein Name?“
„Shane.“
„Was für einen Beruf übt er
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