Julia Extra Band 0297
dem eleganten Diwan ab, der vor dem Bett stand.
„Ich glaube nicht, dass in diesem Zimmer jemals eine wirkliche Königin übernachtet hat“, erwiderte er ernsthaft auf ihre spontane Bemerkung. „Aber ich erinnere mich an ein oder zwei Gräfinnen, und Lady Tiffany schläft jedes Mal hier, wenn sie in London weilt.“
„Lady Tiffany?“, fragte Marina betont unschuldig, während sie zum Fenster hinüberging, um auf den kleinen Hof hinauszuschauen.
„Ich bin sicher, dass Sie Lady Tiffany noch kennenlernen werden, Miss Marina. Sie besucht Rebecca sehr oft. Sie ist die jüngste Tochter vom Duke und der Duchess of Ravensbrook – ihr einziges verbliebenes Kind. Die Ravensbrooks sind die direkten Nachbarn des Lords. Lady Tiffanys armer Bruder wäre der nächste Duke geworden, doch er kam auf tragische Weise im Golfkrieg ums Leben. Er war der beste Freund Seiner Lordschaft. Seine Lordschaft ist dem Duke und der Duchess und Lady Tiffany sehr verbunden. Sie ist eine ganz wunderbare junge Frau.“
Endlich begriff Marina, dass Henry ihr offensichtlich etwas ganz Bestimmtes sagen wollte. Als sie sich zu ihm umdrehte, stand er stocksteif neben dem Bett und sah sie kühl an.
„Seine Lordschaft und Lady Tiffany wollen an Lady Tiffanys einundzwanzigstem Geburtstag im nächsten Monat ihre Verlobung bekannt geben“, erklärte er und wartete auf ihre Reaktion.
Im ersten Moment war Marina völlig sprachlos.
Angesichts der Situation war ihre Enttäuschung völlig unangemessen, und ihre Gefühle – nun, die gingen bestenfalls als albern durch. Hatte sie sich tatsächlich eingebildet, ein Mann wie der Earl of Winterborne würde sich ernsthaft mit einer Frau wie ihr abgeben?
Sie bemühte sich um ein Lächeln, auch wenn ihr dummes kleines Herz blutete.
„Das ist ja großartig“, log sie. „James ist ein toller Mann. Und ich bin sicher, Lady Tiffany ist genauso wunderbar, wie Sie sagen. Ich muss sie beglückwünschen, wenn ich sie treffe. Zumal ich nämlich selbst im nächsten Monat heirate, Henry.“
Sie sah die Erleichterung im Gesicht des alten Dieners, was sie gleichermaßen irritierte und verärgerte. Was hatte er denn gedacht? Und aus welchem Grund? Er kannte sie doch erst seit ein paar Minuten. Was war in dieser Zeit geschehen, dass der alte Mann sie für eine Bedrohung des Eheglücks seines Arbeitgebers hielt? Hatte er ihren kleinen Austausch auf der Treppe mitbekommen und als Zeichen wachsender Intimität gewertet?
Und selbst wenn, hielt dieser steife, alte Kerl sie tatsächlich für ein derart unmoralisches Ding, das versuchen würde, einer anderen Frau den Mann auszuspannen?
Was auch immer – Henrys Einschätzung der Situation beleidigte sie. Mochte sie auch ein, zwei unzüchtige Gedanken gehegt haben, so hätte sie doch nie versucht, diese in die Tat umzusetzen.
Sei ehrlich, Marina, schaltete sich wieder die beharrliche kleine Stimme in ihrem Kopf ein. Wenn seine Lordschaft es da rauf anlegen würde, würde er dich in null Komma nichts ins Bett bekommen.
Es reicht, wehrte sich Marinas Ehrgefühl, ich gehöre nicht zu dieser Sorte Frau!
Vielleicht nicht, aber zu was für einer Sorte Mann zählte er? Die meisten Männer hätten nämlich keine Skrupel.
„Das sind gute Neuigkeiten, Miss Marina“, unterbrach Henry das innere Streitgespräch in ihrem Kopf. „Sehr gute Neuigkeiten sogar. Ich hoffe, dass Sie sehr glücklich werden. Jetzt lasse ich Sie allein, damit Sie sich frisch machen können. Das Morgenzimmer liegt im Erdgeschoss. Gehen Sie einfach den Gang unter der Treppe entlang, dann die erste Tür auf der linken Seite.“
Er verneigte sich steif, wandte sich mit einem beinahe selbstzufriedenen kleinen Lächeln ab und ging.
Marina sah ihm noch hinterher, nachdem er bereits die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann tat sie etwas ganz Merkwürdiges. Sie ließ sich auf das rosenbedeckte Bett fallen und brach in Tränen aus.
„Sie sehen müde aus“, bemerkte James, während er seine dritte Tasse Kaffee an die Lippen hob. „Und Sie haben kaum einen Bissen gegessen.“
Sie warf ihm über den ausladenden Tisch für sechs Personen ein schwaches Lächeln zu. Er war so prachtvoll gedeckt, als handelte es sich um ein formelles Dinner: blütenweiße Tischdecke, Silberbesteck und englisches Porzellan mit Goldrand.
Der Raum an sich wirkte nicht ganz so formell wie der Rest des Hauses. Ganz in Gelb- und Cremetönen gehalten und mit dem strahlenden Sonnenschein, der durch die hohen Fenster fiel, strahlte
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