Julia Extra Band 0299
brauche ein Dach über dem Kopf, bis der Regen aufhört“, wiederholte sie, doch er schien ihr gar nicht mehr zuzuhören.
„Gehen wir“, sagte er schließlich. „Ich will das Baby sehen.“
Damit hatte sie nicht gerechnet. Abby wurde blass. Wieso interessierte er sich für die Kleine? Das war keine gute Idee. „Oh, aber …“
„Ich will jetzt sofort das Baby sehen!“
Dieser Ton duldete keinen Widerspruch. Abby wurde sich wieder bewusst, dass sie es mit einem Mann aus dem Fürstenhaus zu tun hatte. Was konnte sie dagegen ausrichten?
Ergeben nickte sie kurz und machte sich auf den Weg zum Personaltrakt.
Mychale folgte ihr auf dem Fuß.
3. KAPITEL
Abby hob das Baby aus seinem provisorischen Bettchen und nahm es auf den Arm. Trotzig blickte sie den Prinzen an.
„Sie heißt Brianna und ist zwei Monate alt.“
Augenscheinlich wie vom Blitz getroffen blieb Mychale an der Tür stehen. Der Anblick des kleinen Geschöpfes hatte ihm die Sprache verschlagen.
„Wieso haben Sie ein Baby hergebracht?“, fragte er schließlich.
Verständnislos musterte sie ihn. „Wieso nicht? Sie waren bestimmt auch schon als Baby hier im Chalet.“
„Das stimmt. Aber damals wimmelte das Haus von Bediensteten, und ich hatte Kindermädchen, die sich Tag und Nacht um mich gekümmert haben. Ich möchte wirklich zu gern wissen, was Sie veranlasst hat, inmitten eines Unwetters ein Baby an diesen abgelegenen Ort zu bringen. Wie sind Sie überhaupt hergekommen? Jedenfalls nicht mit dem Auto. Mein Wagen ist der einzige, der draußen parkt.“ Er runzelte die Stirn. „Nun reden Sie schon, Abby! Was tun sie hier?“
Ihre Hoffnung, dass er sich sofort in die Kleine verlieben und keine Fragen mehr stellen würde, zerstob. Verzweifelt überlegte Abby, welche Geschichte sie dem Prinzen auftischen sollte. Mit der Wahrheit konnte sie jedenfalls nicht herausrücken.
Brianna hatte sich beruhigt, allerdings nur vorübergehend. Nun schluchzte sie und fing an zu strampeln.
Abby hielt sie so, dass Mychale ihr hübsches kleines Gesicht betrachten konnte.
„Keine Angst, Sweetheart“, sagte sie beruhigend. „Das ist nur ein großer alter Mann. Er sieht zwar zum Fürchten aus, aber das täuscht.“ Sie warf Mychale einen Blick zu. „Versuchen Sie es mal mit einem Lächeln, vielleicht hilft das.“
Er hatte aber keine Lust zu lächeln. Im Gegenteil! Warum war er denn zur Zufluchtstätte seiner Kindheit gefahren? Weil er in Ruhe über seine Zukunft nachdenken wollte! Eine wichtige Entscheidung stand an, und die musste sorgfältig überlegt werden. Doch wie sollte er das anstellen, wenn er ständig abgelenkt wurde? Jetzt auch noch das schrille Pfeifen des Teekessels aus der Küche!
Langsam aber sicher reichte es ihm wirklich. Und Abby ermunterte ihn zu lächeln?
Sie hauchte einen zarten Kuss auf die Wange des Babys. „Sie haben keine Ahnung, wie man mit Babys umgeht, oder?“
Woher denn? „Tut mir leid, aber das gehörte nicht zu meinen Studienfächern“, erklärte er mit leichter Ironie.
„Das sehe ich.“ Sie lächelte frech. „Babys spüren, wenn man sie nicht mag.“
Mychale musterte sie ungläubig. Was sollte diese absurde Unterstellung? „Ich mag Kinder, ob Sie es glauben oder nicht.“
„Ach, wirklich?“ Sie betrachtete die Kleine forschend. „Brianna scheint anderer Meinung zu sein.“
„Das ist lächerlich.“ Jeder Mensch mochte Babys, solange sie in ihrem Zimmer blieben und nicht aufmuckten. „Ich mag sie.“
„Sind Sie sicher?“ Abby sah ihn misstrauisch an.
Entschlossen, es ihr zu beweisen, kam er näher. „Ich bin ganz verrückt nach diesen kleinen Monstern, Abby.“
Seine Ausdrucksweise missfiel ihr natürlich, aber das war ihm gleichgültig.
Abby dachte daran, dass er sich vor Kurzem noch unwohl gefühlt hatte. Jetzt machte er jedoch einen ganz gesunden Eindruck. Trotzdem zögerte sie, bevor sie schließlich entschied: „Gut, dann können Sie sie halten, während ich mich um den Tee kümmere.“
„Wie bitte?“
Er war völlig überrumpelt, als er plötzlich das Baby im Arm hielt. Abby stürzte in die Küche und ließ ihn einfach mit dem kleinen Wesen allen. „Sie müssen den Kopf stützen, sonst wackelt er hin und her“, rief sie ihm noch zu.
„Er wackelt?“ Entsetzt betrachtete Mychale das Bündel Mensch auf seinem Arm, das ihn aus tiefblauen Augen ansah, als wäre er ein Außerirdischer.
„Hallo“, sagte er und versuchte es nun tatsächlich mit einem aufmunternden Lächeln. Ohne Erfolg.
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