Julia Extra Band 0299
„Wie geht’s?“, fragte er dann.
Die kleine Unterlippe bebte, die Äuglein füllten sich mit Tränen. Ein Anflug von Panik überkam ihn. Sein Lächeln half gar nichts. Offensichtlich hatte Abby auch keine Ahnung von Babys. Vielleicht sollte er es mit einem kleinen Lied versuchen?
„ That’s why the lady is a tramp “, intonierte er gefühlvoll.
Die Kleine holte tief Luft, ihre schmalen Schultern begannen zu beben.
„Bitte nicht weinen“, bat er verzweifelt. „Guck mal, ich kann Grimassen schneiden.“ Versuchsweise verzog er das Gesicht, mit dem Ergebnis, dass Brianna die Augen zukniff und anfing, in ohrenbetäubender Lautstärke zu brüllen.
„Nein, nein, nein“, murmelte er beruhigend und legte sich die Kleine an die Schulter, wie er es bei Abby gesehen hatte. „Ist ja gut. Alles ist gut. Niemand tut dir was.“ Er klopfte Brianna leicht auf den Rücken und fing an, im Zimmer auf- und abzugehen. Am liebsten hätte er das Baby in die provisorische Krippe zurückgelegt, wagte es jedoch nicht ohne Abbys Zustimmung. Er wollte ja nichts falsch machen.
Leise wimmerte die Kleine vor sich hin. Es brach ihm fast das Herz. Das arme kleine Ding sehnte sich nach seiner Mutter. Tröstend versuchte er es mit einem Wiegenlied.
„Schlaf, Kindlein, schlaf …“
Erstaunlich. Wieso fiel ihm plötzlich dieses Lied ein? Offensichtlich versuchte sein Unterbewusstsein, ihm beizustehen. Jedenfalls erinnerte er sich an jede einzelne Strophe und wiegte das Baby im Takt. Das gefiel der Kleinen.
Sie hörte auf zu strampeln und weinte auch nicht mehr. Mychale sang einfach weiter.
„Ich glaube, Sie haben sie in den Schlaf gesungen.“
Er wandte sich um. An der Tür stand Abby und musterte ihn belustigt. „Tatsächlich?“, fragte er erstaunt und betrachtete das friedliche Bündel in seinem Arm. Der Anblick rührte ihn.
Abby bedeutete ihm, leise zu sein. „Ich lege sie wieder hin. Der Tee steht auf dem Tisch. Bedienen Sie sich, ich komme gleich nach.“
Erleichtert machte Mychale sich auf den Weg. Es war ein erhebendes Gefühl, das Baby in den Schlaf gesungen zu haben. Aber in Zukunft wollte er das lieber anderen überlassen. Zum Glück würden Abby und die Kleine ja bald verschwinden.
Er trat ans Fenster und blickte hinaus. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Wahrscheinlich war es der Schlafmangel, wieso sonst war ihm immer wieder so schwindlig?
Zum Schlafen war er allerdings nicht hier. Er musste einen Weg finden, die Verlobung mit Stephanie Hollenbeck zu lösen, ohne dass seine Familie ihn in die Wüste schickte.
Bislang war er allerdings noch nicht dazu gekommen, sich mit der Lösung dieses Problems zu befassen. Er musste sich ja mit einer Ausreißerin und ihrem Baby herumschlagen! So ging das nicht.
„Ist sie nicht wunderschön?“, fragte Abby einige Minuten später. Er blickte weiter aus dem Fenster, während er seinen Tee trank. Es regnete und regnete und regnete.
„Sie stört Sie bestimmt nicht. Wir dürfen doch bleiben, oder?“
Jetzt wandte er sich um und blickte direkt in Abbys warmherzige dunkle Augen. Dieses Mädchen war einfach zu hübsch und attraktiv. Heftiges Begehren durchfuhr ihn. So heftig, wie er es seit Jahren nicht gespürt hatte. Eigentlich hatte er gedacht, dass ihn sein enormer Frauenverschleiß mittlerweile immun gemacht hätte gegen derlei Reize. Doch bei Abbys Anblick reagierte sein Körper, als habe er zum ersten Mal im Leben ein weibliches Wesen vor sich.
Sie war ihm zu nah, ihr frischer Duft benebelte seine Sinne. Im Raum schien die Luft plötzlich zu knistern. Ihre süßen Ohren entzückten ihn. Am liebsten hätte er die Konturen gleich hier und jetzt mit der Zunge nachgezogen. Er sehnte sich danach, Abby zu streicheln und jeden Millimeter ihres schönen Körpers zu erkunden. Das Verlangen wurde immer stärker. Und bisher hatte Mychale seiner Lust noch immer nachgegeben.
Doch in diesem Fall kam das natürlich nicht infrage. Er konnte Abby nicht einfach an sich ziehen und küssen. Sie war anders als die Frauen, die sich ihm und seinesgleichen sonst an den Hals warfen.
In Abbys Nähe wurde auf merkwürdige Weise so etwas wie Beschützerinstinkt in ihm wach. Welch Ironie: Ausgerechnet er, dem der Ruf eines Casanovas vorauseilte, wollte eine Frau beschützen? Wovor? Vor ihm selbst?
Mychale lächelte verstohlen, wurde aber sofort wieder ernst. Abby durfte nicht einmal erahnen, was ihm durch den Kopf ging. Vermutlich würde sie seine Schwäche schamlos ausnutzen und sich
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