Julia Extra Band 0299
sie und ihre Schwester hin und wieder den Wagen ihres Onkels zu heimlichen Spritztouren ausgeliehen. Natürlich konnte man das Auto nicht mit dem superteuren Luxussportwagen des Prinzen vergleichen.
Abby wusste, dass sie keine Wahl hatte, holte tief Luft und sah den Tatsachen ins Auge. Wenn sie keine Hilfe holte, würde Mychale vielleicht sterben. Hastig zog sie die Autoschlüssel aus seiner Hosentasche, nahm eine Decke von der Couch und breitete sie über ihm aus. Dann hob sie Brianna auf den Arm und machte sich auf den Weg.
Mychale öffnete kurz die Augen, machte sie jedoch gleich wieder zu. Er fühlte sich elend und völlig hilflos. Sein Kopf drohte vor Schmerz fast zu zerspringen.
Was ist nur mit mir?, überlegte er verzweifelt. Ihm wurde übel, sowie er sich bewegte. Also blieb er reglos liegen und hoffte auf Besserung.
Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, nicht sprechen, sich nicht bewegen. Allerdings erinnerte er sich an das verschwommene Bild einer jungen Frau, die sich über ihn beugte. Noch vor Kurzem hatte er sich mit ihr unterhalten, und jetzt erinnerte er sich nicht einmal mehr an ihren Namen.
Verzweifelt klammerte er sich an dieses Bild.
Jetzt hörte er eine Stimme, konnte jedoch die Augen nicht aufmachen, um zu sehen, wer es war. Jemand berührte ihn. Er verzog das Gesicht und versuchte, die Hand abzuschütteln, dann wurde ihm erneut übel. Er spürte einen Pikser am Arm, beachtete das jedoch nicht weiter, weil die Übelkeit ihm so zusetzte.
Erneut versuchte er, die Augen zu öffnen. Da war sie. Die junge Frau. Erleichtert schloss er die Augen wieder und flüsterte ein Wort.
Sie beugte sich tiefer über ihn. „Wie bitte?“
Vergeblich versuchte Mychale, das Wort zu wiederholen. Erst mit schier übermenschlicher Anstrengung gelang es ihm. „Bleib“, stieß er leise hervor, dann verlor er ein weiteres Mal das Bewusstsein.
„Es ist eine Art Virus, das das Innenohr befällt“, erklärte Gregor, verstaute die Spritze in seinem schwarzen Arztkoffer und blickte Abby an. „Zumindest nehme ich an, dass er darunter leidet. Vor ihm sind schon einige Mitglieder der Fürstenfamilie daran erkrankt. Die Symptome ähneln der Menière-Krankheit, treten aber sehr viel drastischer auf. Ich habe ihm etwas gegen das Schwindelgefühl gegeben. Wenn meine Diagnose richtig ist, müsste er sich bald erholen.“
Abby nickte nur wortlos und blickte auf den Prinzen hinab. Er lag noch immer auf dem Boden. Sie hatte ihm ein Kissen unter den Kopf geschoben und die Decke bis zu seinem Kinn hochgezogen.
Hoffentlich hatte Gregor recht. Es tat ihr weh, Mychale so schutz- und hilflos vor sich zu sehen.
Dankbar lächelte sie Gregor zu. Aus dem intelligenten, fröhlichen Jungen, mit dem sie als Kind durch Dick und Dünn gegangen war, war ein hochgewachsener, attraktiver Mann geworden. Über dem linken Auge trug er eine schwarze Augenklappe.
„Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe“, murmelte sie und versuchte verzweifelt, ihre Rührung zu verbergen.
Er lächelte zärtlich. „Kleine Abby! Es ist bestimmt schon zehn Jahre her, seit ich dich und Julienne zuletzt gesehen habe. Wie geht es ihr?“
Abby zuckte zusammen. „Sie ist vor Kurzem gestorben.“ Jede weitere Nachfrage wehrte sie ab. „Ich kann jetzt nicht darüber sprechen, Gregor.“ Sie atmete tief durch und rang sich ein Lächeln ab. „Erzähl mir lieber, wie es dir so ergangen ist. Was ist passiert?“ Sie zeigte auf die Augenklappe.
„Das Gleiche, was allen von uns passiert ist: der Krieg.“
Abby erschrak. „Das war eine dumme Frage. Entschuldige bitte. Aber ich hatte dich beim Medizinstudium vermutet.“
„Ja, ich war auch an der Klinik tätig und wollte eigentlich gerade eine Facharztausbildung zum Chirurgen beginnen. Als dann die Wiedereinsetzung des Fürstenhauses auf dem Spiel stand, habe ich mich allerdings entschlossen, in den letzten Kriegsmonaten zu kämpfen.“
Sie nickte verständnisvoll. Seine Familie hatte schon immer zu den treuesten Anhängern der royalen Familie gehört. Unter anderem deshalb vertraute sie Gregor blind. Er war sehr diskret, man konnte sich hundertprozentig auf ihn verlassen. Ihm fiele es nicht im Traum ein, mit seinem Wissen um den Zustand des Prinzen an die Öffentlichkeit zu gehen.
So ein Glück, dass sie ihn gleich gefunden hatte. Andernfalls hätte sie sich keinen Rat mehr gewusst.
„Und nun?“, fragte sie.
„Die Chirurgie kann ich mir abschminken, seit ich das linke Auge verloren
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