Julia Extra Band 0299
den Kaffee. Rosanne bedankte sich für das wunderbare Essen. Sie wartete, bis die Frau den Raum wieder verlassen hatte, und stand auf.
„Ich bin müde. Ich werde zu Bett gehen.“ Innerlich fühlte sie sich leer und verwundet.
Isandro hielt sie sanft am Handgelenk fest, als sie an ihm vorbeiging. Sie zwang die Emotionen, die in ihren Augen offen zu lesen sein mussten, hinunter und schaute ihn an. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Hoffentlich bemerkte er es nicht.
„Sag mir, bist du deshalb weggegangen, Rosanne? Weil du der Schublade entkommen wolltest, in die dein Vater dich gesteckt hat?“
Nein! … Das Wort hallte in ihrem Kopf und wollte hinaus, aber sie ließ es nicht zu. Noch nicht. Noch konnte sie ihre Erlebnisse nicht teilen. Nicht, solange er sie so sehr hasste.
„Ja“, erwiderte sie schließlich. „Das ist der Grund.“
Der Griff um ihr Handgelenk wurde fester, Isandros Mund glich einer schmalen Linie. „Du erwartest, dass ich dir die Geschichte von dem armen reichen Mädchen abkaufe, Rosanne? Einem armen kleinen behüteten Mädchen, das bei der ersten sich bietenden Gelegenheit davonläuft?“
„Ja“, beharrte sie.
„Nun, dann hoffe ich, es war die Sache wert.“
Das war sie …
Mit einer Willenskraft, von der sie gar nicht gewusst hatte, dass sie sie besaß, wandte sie den Blick von ihm ab und entzog ihm ihre Hand. Sie rannte aus dem Zimmer, weil sich die Fassade der Sorglosigkeit nicht länger aufrechterhalten ließ. Blind lief sie durch das Haus und hinaus in den Garten.
Er lag so richtig und falsch zugleich mit seinen Einschätzungen. Sie war ein armes reiches Mädchen gewesen. Und unglaublich naiv. Ihr Vater hatte alles in seiner Macht stehende unternommen, um aus ihr eine vorzeigbare Ehefrau zu machen. Nur mit ihrer extremen Schüchternheit hatte er nicht gerechnet.
Und sie war nicht bei der ersten Gelegenheit geflohen. Nein, sie hatte sich dummerweise bei der ersten sich bietenden Gelegenheit verliebt.
6. KAPITEL
Isandro schenkte sich Wein nach. Dabei zitterte seine Hand ein klein wenig. Welcher Teufel hatte ihn nur geritten, die alten Geschichten wieder aufzuwärmen? Bislang war es ihm doch auch gleichgültig gewesen, warum Rosanne ihn geheiratet hatte.
Er hatte an diese Hochzeit klare Bedingungen geknüpft und geglaubt, er würde ihr einen Gefallen tun, wenn er verhinderte, dass ihr Vater ihr Erbe in die Finger bekam. Aber wenn es zutraf, was sie ihm gerade erzählt hatte, war der alte Mann nie darauf aus gewesen. Unsicherheit nagte an ihm. Er war es nicht gewohnt, Menschen falsch einzuschätzen.
Das Gefühl von Verwundbarkeit, das ihn in den letzten Tagen so oft geplagt hatte, kehrte zurück. Seit dem ersten Moment, da er Rosanne gesehen hatte, war sie ihm als Bedrohung erschienen. Sie hatte den Instinkt des Beschützers in ihm geweckt … und die Hoffnung, dass sie vielleicht mehr für ihn empfand, als sie zugab.
Ob er glücklich wäre, hatte sie ihn vorhin gefragt. Und damit einen wunden Punkt getroffen. Zac hatte ihn zu einem der glücklichsten Menschen auf der Welt gemacht. Und für jemanden, dessen Leben ausschließlich auf Macht und Erfolg ausgerichtet war, kam das einer Offenbarung gleich. Einer Offenbarung, für die sie verantwortlich war!
Seit über einer Woche hielt Rosanne es nun schon hier aus. Warum langweilte sie sich nicht? Warum hatte sie noch keinen Versuch unternommen, nach Sevilla zu fahren? Warum bestand sie darauf, ausschließlich ihre drei schäbigen Outfits zu tragen?
Warum verspürte er das Bedürfnis, sie zu provozieren? Ihr Fragen nach Dingen zu stellen, die ihn früher nie interessiert hatten? Sie wieder und wieder erklären zu lassen, warum sie ihn verlassen hatte?
Er trank den letzten Schluck Wein. Sobald die Scheidung rechtskräftig war, würde er sie aus seinem Haus weisen, und sie würden sich andere Regeln einfallen lassen, was ihren Umgang mit Zac betraf. Ihr gemeinsames Kind war alles, was sie jetzt noch verband.
Als Rosanne am nächsten Morgen die Treppe hinunterkam, herrschte Chaos. Isandro hielt Zac im Arm, während er, Julia und eine weitere Angestellte versuchten, sich über das lautstarke Schreien des Kindes hinweg zu unterhalten.
„Was ist denn hier los?“
Vier Köpfe wandten sich zu ihr um, selbst Zac hörte auf zu weinen. Isandro bedachte Rosanne mit einem harten Blick aus blitzenden Augen. Aber was hätte sie nach der letzten Nacht auch anderes erwarten sollen? Sie hatten zwei Schritte nach vorne gemacht und ungefähr
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