Julia Extra Band 0303
seinen Schreibtisch zurück und ließ sich schwer in den ledernen Chefsessel fallen.
Und als ihm plötzlich die Ironie seiner Situation bewusst wurde, lachte er hart und freudlos auf. Die Erkenntnis, dass es sich bei Samantha um die einzige Frau handelte, mit der er im Bett gewesen war, ohne sie je gesehen zu haben, und die trotzdem die lebhaftesten und eindrücklichsten Bilder in seiner Erinnerung hinterließ, war aber auch geradezu lächerlich …
4. KAPITEL
Es begann in dem Moment zu regnen, als das Taxi am Fahrbahnrand anhielt. Sam brauchte nur wenige Sekunden, um es zu erreichen, doch bis sie die Wagentür hinter sich geschlossen hatte, war ihr Haar klatschnass – trotz der Handtasche, die sie sich schützend über den Kopf gehalten hatte.
Während sie aus dem Fenster aufs trübe, graue London schaute, wanderten ihre Gedanken zu dem Wochenende in Schottland zurück, an dem es genauso geschüttet hatte wie heute. Damals hatte sie in den drohend schwarzen Wolken am Himmel nichts Unheilvolles gesehen und erst recht nicht geahnt, dass sich ihr Leben in den nächsten achtundvierzig Stunden radikal verändern würde. Dabei hatte sie nur ihrer überlasteten Schwägerin zu Hilfe eilen wollen …
Als sie an jenem Wochenende ihren Landrover auf dem mit Kies bestreuten Rondell vor Armuirn Castle parkte, wurde Sam von einem einzigen Wunsch beherrscht: so schnell wie möglich ein entspannendes, heißes Bad zu nehmen. Nie hätte sie gedacht, dass die Reinigung von acht kleinen Cottages so anstrengend sein könnte. Aber vor den anderen zugeben würde sie das auf keinen Fall, um das Vorurteil ihres Bruders, sie sei eine verweichlichte Stadtpflanze geworden, nicht noch zu bestätigen.
Bevor sie ausstieg, schaute sie kurz zu dem hohen grauen Turm des eindrucksvollen Schlosses auf. Ein markanter Blickfang und Wegweiser in der rauen, naturbelassenen Umgebung, den man schon Meilen entfernt ausmachen konnte. Hier in Armuirn Castle war ihre Schwägerin aufgewachsen, doch inzwischen lebten Clare und Ian auf einer der umliegenden Farmen und vermieteten das Hauptgebäude und die kleinen Pächter-Cottages an Touristen.
Sam dachte daran, wie sie vor etlichen Stunden, bewaffnet mit einem Eimer voller Putzmittel und einem Staubwedel, den sie zum Schutz vor dem Regen unter ihre gewachste Outdoor-Jacke gesteckt hatte, aus dem Landrover gekletterte war und ins erste Cottage gehastet war, um ihren neuen Job anzutreten. Bei der Vorstellung, wie wenig ihre Aufmachung zu dem erträumten Wellness-Wochenende passte, das sie ursprünglich geplant hatte, musste sie grinsen. Aber wie hätte sie sich entspannen können, während Clare versuchte, den Laden allein zu schmeißen, weil Ian und der größte Teil des Personals mit einer Grippe im Bett lagen?
Sam war schon froh, dass sie nur putzen und sich nicht um ihre kleinen Neffen kümmern musste! Sie liebte die Zwillinge heiß und innig, aber der Herausforderung, das lebhafte und absolut furchtlose Pärchen für mehr als eine halbe Stunde zu hüten, fühlte sie sich einfach nicht gewachsen.
Stattdessen betätigte sie sich eben als Putzfrau und musste jetzt nur noch im Haupthaus die bestellten Lebensmittel abliefern und neue Bettwäsche aufziehen. Clare hatte ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, der Mann, der das Schloss für den ganzen Sommer gemietet habe, wünsche keine Haushaltshilfe, sondern lege absoluten Wert auf seine Privatsphäre.
„Was ist er denn für ein Typ?“, hatte Sam neugierig nachgehakt.
„Frag mich nicht! Weder Ian noch ich haben ihn bisher zu Gesicht bekommen. Die Buchung ist via Internet erfolgt.“
„Aber irgendjemand muss ihn doch gesehen haben.“
„Hamish meinte, er hätte den Hubschrauber landen sehen, als er mit einer Wandergruppe unterwegs war.“
„Und?“
„Nichts weiter. Unser geheimnisvoller Gast stieg aus, und Hamish meinte, er sei sehr groß.“
Sam seufzte. „Nicht besonders aufschlussreich, oder?“
Clare nickte. „Tja, er scheint das Schloss nie zu verlassen. Die Lebensmittel lässt er sich aus dem Dorf anliefern. Wenn wir die Handtücher oder Bettwäsche wechseln, liegt immer eine Einkaufsliste bereit.“
„Vielleicht ist er ja ein Verbrecher, der sich vor der Polizei versteckt. Oder ein Star, der in einen Sex-Skandal verstrickt ist und deshalb für eine Weile untertauchen muss“, fabulierte Sam drauflos.
„Wohl eher ein gestresster Geschäftsmann, der hier nur einen einsamen Angelurlaub verleben will. Aber, wer immer er auch
Weitere Kostenlose Bücher