Julia Extra Band 0305
konzentrierte er sich wieder auf seine Tochter. „Definiere ‚Horror‘“, forderte er sie auf.
Amanda schnitt eine Grimasse. „Die Schlossschule ist sooo spießig und langweilig. Alles nur Geschichte, Geschichte, Geschichte. Ich glaube, Carramer hat mehr Vergangenheit als Zukunft.“
Genau das dachte er manchmal selbst. „Aber du wirst auch in sehr gegenwartsnahen und modernen Fächern unterrichtet.“
„Woher willst du das denn wissen?“
„Ganz einfach … ich bin selbst dort zur Schule gegangen. Allerdings in grauer Vorzeit!“, fügte er mit einem Schmunzeln hinzu.
Jetzt musste auch Amanda lächeln. Die Veränderung auf ihren zarten Zügen war spektakulär. Schlagartig verwandelte sich der unwirsche Teenager in eine bezaubernde Schönheit. Die auffallende platinblonde Haarflut hatte sie von ihrer Mutter geerbt, und Bryce zweifelte keine Sekunde daran, dass sie sich in wenigen Jahren zur unwiderstehlichen Herzensbrecherin entwickeln würde.
„Dreiunddreißig ist nicht gerade ein Greisenalter, Dad. Und wenn wir an einem aufregenderen Platz als Merrisand leben würden, könntest du möglicherweise noch einmal heiraten.“
„Das steht für mich absolut nicht zur Debatte“, entgegnete er brüsk und bereute seinen barschen Ton sofort, als er sah, wie sich Amandas Gesichtsausdruck verschloss. Hatte sie ihm vielleicht nur durch die Blume zu verstehen geben wollen, dass sie nichts dagegen hätte, wenn es so wäre? Er streckte eine Hand aus und strich ihr über die Wange, als könne er so die bedrückte Miene aufhellen.
„Du bist meine Familie, Spatz. Mehr brauche ich nicht.“
Er wollte und konnte es nicht riskieren, noch einmal ähnliche Qualen und Trauer erleben zu müssen, die Yvettes schleichende Krankheit und ihr unausweichlicher Tod für ihn bedeutet hatten. Amanda war erst sieben, als bei ihrer Mutter eine sehr seltene Blutkrankheit diagnostiziert wurde, die sich als unheilbar herausstellte.
Bryces Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als er an den langen, aussichtlosen Kampf seiner Frau gegen dieses mysteriöse Leiden zurückdachte, das sie ihm Stück für Stück entfremdete und schließlich ganz nahm.
Die Wunde, die ihr Tod in seinem Leben geschlagen hatte, begann zwar langsam zu heilen, doch das beunruhigte ihn eher. Was, wenn ihm eines Tages vielleicht gar nichts mehr von Yvette blieb? Nicht einmal der Schmerz des Verlustes? Was, wenn er nie wieder etwas würde fühlen können …?
Bryce war tatsächlich so naiv gewesen zu glauben, dass sein Großvater ihn verstehen würde, als er sich während der schweren Zeit in erster Linie um seine Familie sorgte und kümmerte. Immerhin hatte Karl selbst seine Frau vor einigen Jahren durch einen Herzinfarkt verloren. Stattdessen schien dieser geradezu abgestoßen von Yvettes Krankheit zu sein, verhielt sich unnachgiebiger denn je und zeigte keinerlei Entgegenkommen, was den enormen Aufwand an Zeit und Geld betraf, den sein Enkel einsetzte, in der Hoffnung, Yvettes Leben doch noch retten oder wenigstens erleichtern zu können.
Natürlich hatte der Betrieb in Eden Valley in jenen Jahren gelitten. Und zwar in einem Maße, dass Karl sich dazu entschloss, den Besitz zum Verkauf anzubieten. Vielleicht hatte das Ganze auch nur ein Schuss vor den Bug sein sollen, um seinen Enkel wieder zur Vernunft zu bringen, aber der alte Mann hatte sich verkalkuliert.
Bryce war seinem Großvater viel ähnlicher, als er es sich selbst je eingestanden hätte. Zumindest, was Sturheit und Kompromisslosigkeit betraf. Also überraschte er Karl damit, dass er gleichmütig erklärte, ein Verkauf sei wahrscheinlich die beste Lösung des Problems.
Seine Eltern hatten versucht zu intervenieren, aber als sie merkten, dass es Bryce ernst damit war, endlich die alten Fesseln abstreifen und auf eigenen Füßen stehen zu wollen, gaben auch sie nach.
Fünf Monate war es jetzt her, dass Eden Valley seinen Besitzer gewechselt hatte. Und der Verkauf war auch der Grund dafür, dass Bryce und Amanda jetzt auf Merrisand lebten.
Prinz Maxim de Marigny, Geschäftsführer und Hauptverwalter von Château Merrisand und seiner Ländereien, war zum Versteigerungstermin nach Eden Valley gekommen, um den ungewöhnlichen Wildbestand auf dem Anwesen zu ins pizieren, dessen Erfolg allein Bryces unermüdlichem Engagement und seiner Begeisterung für die sanften Wappentiere von Carramer zuzuschreiben war. Es war ihm gelungen, eine spektakuläre Neuzüchtung zu schaffen, den Mayathirsch. Eine Kreuzung
Weitere Kostenlose Bücher