Julia Extra Band 0316
der hübschen Straßen und eleganten Häuser erinnerte Phoebe vor allem daran, mit wie viel Optimismus und großen Erwartungen sie hier mit Anders entlanggefahren war.
War die Hoffnung, dass ihr Aufenthalt in Amarnes nach zwei Wochen zu Ende wäre, genauso unangebracht?
„Toll!“, rief Christian neben ihr. In diesem Augenblick passierte die Limousine das schmiedeeiserne Palasttor mit dem Fürstenwappen. Der Palast war ein mehrere hundert Jahre altes, beeindruckendes Gebäude aus gelbem Sandstein. Ein ziemlich abweisend wirkender, livrierter Palastangestellter wartete am Hauptportal, das zwei Soldaten in königsblauen Uniformen und polierten Helmen bewachten.
„Da sind wir“, sagte Leo und öffnete die Wagentür. Leo sprach mit dem Palastangestellten, der ihnen die Flügeltüren öffnete und sie aufforderte einzutreten. Wie in Trance folgte ihm Phoebe, Christian fest an sich gedrückt.
Bisher hatte Phoebe den Palast nur ein einziges Mal betreten. Damals war sie wie eine Kriminelle von Regierungsbeamten eskortiert und vor Leo geführt worden. Wieder hier zu sein, schlug ihr auf den Magen. Wie damals war sie ängstlich, fühlte sich alleingelassen und wusste nicht, was passieren würde.
Doch sie schob diese Gefühle von sich und versuchte, neuen Mut zu schöpfen. Was das betraf, hatte sie sich verändert. Heute war sie stärker. An diese Stärke musste sie sich erinnern, während sie in dem riesigen Foyer stand und sich winzig und unbedeutend vorkam.
„Der Fürst wird euch sehen wollen“, meinte Leo. „Aber bestimmt möchtet ihr euch zuerst ein bisschen ausruhen und frisch machen. Johann bringt euch zu euren Räumlichkeiten.“ Beinahe wie von Zauberhand erschien ein weiterer Diener, ebenfalls in Livree. Phoebe folgte ihm die gewundene Treppe hinauf, Christian dicht neben sich.
Johann führte sie zu einer Raumfolge im hinteren Teil des Palastes. Dort angekommen ließ Phoebe das Schlafzimmer mit Himmelbett, den eleganten Wohnraum und die Terrasse mit Blick auf den von Raureif verzauberten Park erst einmal auf sich wirken.
Sie stellte ihre Handtasche auf ein Tischchen und atmete tief durch. Währenddessen untersuchte Christian bereits die riesigen begehbaren Kleiderschränke, den großen Plasmabildschirm hinter Mahagonitüren und das Himmelbett mit seiner dicken Matratze.
„Hier ist es toll!“, rief er, griff zur Fernbedienung und schaltete durch die Programme. „Wie lange bleiben wir?“
„Zwei Wochen“, antwortete Phoebe. Sie war gereizt, dabei hatte sie den Fürsten noch nicht einmal gesehen. Um sich zu erfrischen, ging sie ins Badezimmer. Nachdem sie ihr Gesicht mit klarem Wasser gewaschen hatte, schnitt sie ihrem blassen, angestrengten Spiegelbild eine Grimasse.
Christian kam herein. „Wenn der Prinz mein Cousin ist, wie soll ich ihn dann nennen? Und wenn er ein Prinz ist, bin ich dann auch einer?“
Ein Klopfen an der Tür bewahrte Phoebe davor, die Fragen beantworten zu müssen. Sie öffnete. Vor ihr stand noch ein Diener mit ausdrucksloser Miene, der sie in perfektem Englisch darüber informierte, dass Fürst Nicholas sie im Thronsaal erwartete.
„Schon?“, fragte Phoebe. Der Diener zuckte nur mit den Schultern. Sie hatte sich noch nicht umgezogen und noch nicht einmal ihre Haare gekämmt. Aber wenn der Fürst so unhöflich war, sie zu sich zu zitieren, bevor sie Gelegenheit gehabt hatte, Atem zu schöpfen, musste er sie so nehmen, wie sie war.
Gemeinsam mit Christian folgte sie dem Diener durch zahlreiche Korridore, eine etwas kleinere, weniger offizielle Treppe hinunter, bis sie vor einer großen, mit Blattgold verzierten Flügeltür standen.
Phoebe schluckte. Diesen Teil des Palastes hatte sie noch nie gesehen.
„Ihre Hoheit, Fürst Nicholas I. von Amarnes“, verkündete der Diener, und die Türen wurden geöffnet.
Als Phoebe mit Christian an der Seite den Saal betreten wollte, trat ihr ein großer, breitschultriger Diener in den Weg.
„Was –?“, rief sie verwirrt und spürte eine Hand auf ihrer Schulter.
„Nur der Junge“, befahl jemand sehr entschieden auf Englisch.
Bevor Phoebe etwas tun konnte, hatte man sie zur Seite gezogen, und Christian war hinter den schweren Flügeltüren verschwunden.
6. KAPITEL
„Wie bitte?“ Stirnrunzelnd sah Leo von seiner Post auf.
Sein Sekretär nickte. „Ich dachte, Sie wüssten es gern. Der Fürst hat den Jungen vor zehn Minuten zu sich beordert.“
„Ich werde sofort mit ihm sprechen.“ Leo warf die restlichen Umschläge auf
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