Julia Extra Band 0339
Kritik.“ Er lächelte spöttisch. „Ich habe mit schlanken Frauen durchaus kein Problem.“
Am liebsten hätte sie ihm das dämliche Grinsen mit einer Ohrfeige vom Gesicht gewischt. Noch besser, mit einem Kinnhaken, um ihm wehzutun. So weh, wie er ihr getan hatte. „Wo ist das Badezimmer? Ich will mich umziehen.“
Er zog die Brauen hoch. „Ist es für Schamgefühle nicht ein wenig spät? Ihren Busen kenne ich mittlerweile.“
Sie wurde rot, dann presste sie die Lippen zusammen. „Das Bad. Wo ist es?“
„Die rechte Tür am Ende des Flurs“, informierte er sie kühl und wandte sich ab.
Nicht eine Silbe, dass es ihm leidtut! dachte sie, als sie den Gang entlangging. Kein Wort der Entschuldigung. Er benahm sich, als wäre Unberührtheit in ihrem Alter eine Schande. In seinen Augen war es das wohl auch …
Schnell ersetzte sie im Bad sein T-Shirt durch ihr eigenes, dann warf sie einen Blick in den Spiegel. Die Haare waren ein Desaster, das sie in einem provisorischen Zopf zu bändigen versuchte. Ihre Augen erschienen übernatürlich groß, die Lippen vom vielen Küssen noch voller als sonst.
Was ihr jedoch am meisten auffiel, war ein Ausdruck von Verlorenheit, den sie auf ihrem Gesicht noch nie gesehen hatte.
Entschlossen straffte Mary die Schultern. Sie hatte keinen Grund, sich elend zu fühlen. Sie war eine erfolgreiche junge Frau, die mit beiden Beinen im Leben stand und zufällig – welche Schande! – noch unschuldig war.
Jonas saß immer noch so, wie sie ihn verlassen hatte, nur die Weinflasche war inzwischen fast leer. Sie legte sein T-Shirt über einen Stuhl. „Vielen Dank“, sagte sie steif. Mit abgewandtem Gesicht machte sie sich daran, in die Lederkombi zu steigen.
Sich vor seinen Augen anziehen zu müssen, noch dazu in diesem peinlichen Schweigen, war gewiss eins der unangenehmsten Erlebnisse ihres Lebens. Im Moment konnte sie sich nur eine Situation ausmalen, die noch schlimmer wäre – wenn Jonas während des Liebesspiels herausgefunden hätte, wie es um sie stand. Bei dem bloßen Gedanken stieg ihr vor lauter Demütigung das Blut in die Wangen – seine Vorwürfe erriet sie ohne Schwierigkeiten, seine Verachtung ebenfalls. Wenigstens das war ihr erspart geblieben.
Jonas, der sie nicht aus den Augen ließ, ahnte, was in ihr vorging, und es schnitt ihm ins Herz. Es war nie seine Absicht gewesen, Mary wehzutun – wie sollte er ihr verständlich machen, dass er jemandem wie ihr nichts zu geben hatte?
Für ihn zählten nur zwei Dinge, wenn er mit einer Frau zusammen war – wechselseitige Anziehungskraft und physisches Verlangen. Beides existierte zwischen Mary und ihm. Was ihn misstrauisch machte, war, dass sie sich bisher noch keinem Mann hingegeben hatte. Die Tatsache, dass sie bei ihm dazu bereit war, konnte nur eins bedeuten – sie erwartete mehr als eine vorübergehende Liebschaft, viel mehr. Und dazu war er nicht bereit, weder mit ihr noch mit einer anderen Frau. Aber das war schließlich nicht ihre Schuld.
„Es tut mir leid, Mary.“
Sie sah hoch, während sie die Stiefel zuschnürte. „ Was tut Ihnen leid?“
„Dass die Geschichte mit uns aus dem Ruder gelaufen ist. Hätte ich gewusst, dass Sie noch …“
„… dass ich noch Jungfrau bin, hätten Sie mich nicht heraufgebeten.“ Grimmig richtete sie sich auf.
Ihr bitterer Ton ging ihm durch und durch. „Nichts von dem, was geschehen ist, war geplant, Mary.“
„Ach, wirklich?“
„Ja, wirklich.“
„Machen Sie sich nichts daraus, Jonas. Nicht jeder Mann ist so gewissenhaft wie Sie. Ich bin sicher, dass ich einem begegnen werde, der nichts dagegen hat, der erste zu sein. Soll ich danach noch mal vorbeikommen, damit wir dort weitermachen, wo wir heute aufgehört haben?“, erkundigte sie sich sarkastisch.
Jonas stieß den Stuhl zurück und sprang auf. „Machen Sie keinen Blödsinn, Mary!“
Sie schob das Kinn vor. „Was ist daran so blödsinnig?“
„Sie können sich doch nicht einfach dem Erstbesten hingeben, nur um … um …“
„Warum nicht?“
„Weil Unschuld etwas Kostbares ist, was man nicht einfach wegwirft. Sie sollten sie dem Mann schenken, den Sie lieben. Oder zumindest gernhaben.“
Mary spürte ein Ziehen in der Brust. Ihr Problem war, dass sie Jonas zwar nicht liebte, aber wirklich gernhatte. Nicht nur den unglücklichen kleinen Jungen von einst, auch den herben und desillusionierten Mann, zu dem er geworden war.
„Diese Entscheidung sollte ich doch wohl treffen, meinen Sie nicht
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