Julia Extra Band 348
schlicht, aber mit vielen Zutaten, die angeblich fast alle aus den umliegenden Kleingärten stammten, wie die Kellnerin mit leuchtenden Augen erzählte. Sie bestellten Kürbisblütenrisotto und einen großen, mit einer Vielzahl von Kräutern angerichteten grünen Salat.
„So habe ich mir das nicht vorgestellt“, bemerkte Zara, während sie einen Schluck von ihrem Rotwein trank, der nach Himbeeren schmeckte.
„Was hast du erwartet?“
„Oh, ich weiß nicht.“ Sie schaute auf die schwarze Schiefertafel mit den Gerichten des Tages und den Drahtkorb mit Limonen auf der Bar. „Irgendwie viel eleganter, mit gestärkten weißen Tischdecken, Kerzen und funkelndem Kristall.“
„Bist du enttäuscht?“
Ein seltsamer Unterton in seiner Stimme ließ sie aufhorchen. Sie legte ihre Gabel weg und blickte ihn – plötzlich mit Herzklopfen – an. „Jetzt kommt aber nicht wieder das Goldgräberinnenthema aufs Tapet, oder, Nikolai?“
„Natürlich nicht. Das war eine ganz normale Frage.“
War es das? Sie wusste nie wirklich, was in seinem Kopf vorging, und manchmal wurde sie schmerzhaft daran erinnert, dass sie diesen Mann eigentlich überhaupt nicht kannte. Sie sah von ihm nur das, was er ihr zeigen wollte, die Fassade, die er nicht nur ihr, sondern der ganzen Welt präsentierte.
„Nein, überhaupt nicht, im Gegenteil. Ich mag es hier. Es fällt irgendwie aus dem Rahmen, und ich liebe die Einfachheit.“ Sie fuhr mit der Fingerspitze über den Rand ihres Weinglases. „Gibt es in Russland auch solche Lokale?“
„Aber ja, die gibt es überall auf der Welt. Aber die Tatsache, dass man für ein sehr schlichtes Essen teuer bezahlen muss, existiert allein in den westlichen Wohlstandsgesellschaften“, bemerkte er trocken. „Das ist eine der Ironien des Lebens, Zara. Die Menschen, die Armut am eigenen Leib erfahren haben, versuchen, diese zu imitieren, sobald sie ihr entronnen sind.“
„So habe ich das noch nie gesehen.“ Sie hielt mitten in der Bewegung inne und schaute ihm in die Augen. „Gehörst du auch zu denen, die Armut am eigenen Leib erfahren haben?“, hakte sie behutsam nach.
Er zog argwöhnisch die Stirn in Falten. „Was ist das denn jetzt? Ein Verhör?“
„Ein Verhör?“ Sie stellte ihr Glas ab. „Ganz bestimmt nicht. Obwohl ich ehrlich zugeben muss, dass ich schon ein bisschen neugierig bin, wie du früher gelebt hast. Aber das ist ja wohl kein Wunder, nachdem wir so viel Zeit miteinander verbracht haben. Du hast mich schließlich auch schon ausgefragt, oder?“
Nachdenklich schwenkte er den Rotwein in seinem Glas. War ihre Frage nicht ein Beweis dafür, dass im Grunde eben doch alle Frauen gleich waren? Dass sie in ihrem tiefsten Innern unweigerlich den Drang verspürten, einen Mann auszusaugen, wenn nicht materiell, dann eben emotional?
Er trank einen Schluck von seinem Wein. Dabei merkte er, dass es ihm heute nicht ganz so leicht fiel, das Thema zu wechseln wie normalerweise, wenn er das Gefühl hatte, dass ihm jemand zu dicht auf den Pelz rückte. Lag es vielleicht daran, dass Zaras Art es ihm erleichterte, sich seiner Vergangenheit mit der gebotenen Behutsamkeit anzunähern? Schwer zu sagen.
„Ja, ich habe Armut kennengelernt“, begann er langsam. „Ich wuchs zu einer Zeit und an einem Ort auf, wo Hunger und Armut an der Tagesordnung waren.“
Dunkel erinnerte sie sich an etwas, das er irgendwann einmal zu ihr gesagt hatte. „Hast du deine Eltern bei einer Art … Unfall verloren, als du noch sehr klein warst?“
Er kniff die Augen zusammen. „Warum fragst du das?“
„Ich dachte nur … ach, nichts.“
Nikolai trank einen großen Schluck Wein und fragte sich leicht verärgert, warum er das Thema nicht gleich abgewürgt hatte. Der vollmundige, schwere Wein hätte eigentlich entspannend wirken müssen … wenn da nicht im Hintergrund plötzlich wieder das Schreckgespenst der Vergangenheit lauern würde. „Ich habe meinen Vater nie kennengelernt“, hörte er sich zu seinem größten Erstaunen ruhig sagen. „Aber in Moskau ein vaterloses Kind zu sein war damals nichts Außergewöhnliches. Und hungrig waren viele Menschen, nicht nur ich.“
Plötzlich wurde er von Erinnerungen überschwemmt. An die schäbige Unterkunft, in der sie gehaust hatten, wo sie sich Küche und Bad mit drei anderen Familien hatten teilen müssen.
„Und deine Mutter?“, tastete sich Zara behutsam vor.
„Ah … meine Mutter.“ Er presste die Lippen zusammen und spürte, dass sein Herz einen
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