Julia Extra Band 358
wurde zu einer stillen Tortur für beide Seiten. Offenbar hatte sie sich vorgenommen, so zu tun, als wäre zwischen ihnen nichts geschehen. Auf der einen Seite bewunderte er sie dafür, wie es ihr gelang, ihrem Job oberste Priorität einzuräumen, auf der anderen Seite störte es ihn ungemein, als Mann so ignoriert zu werden.
Vasilii konnte nicht wissen, wie schwer es Laura fiel, sich durch seinen männlichen Duft nicht schwächen zu lassen. Ihre Hand, in der sie eine zierliche Kaffeetasse hielt, zitterte so stark, dass sie ihren Arm unauffällig am Tisch abstützen musste.
Entnervt versteckte Vasilii sich hinter der „Financial Times“, die mit dem Frühstückswagen geliefert worden war, und dachte angestrengt nach. Ob Laura überhaupt klar war, was für einem Risiko sie sich gestern ausgesetzt hatte? Immerhin nahm sie ganz sicher nicht die Pille. Sie bot sich ihm auf dem Präsentierteller dar, ohne die Konsequenzen ihres Handelns zu überdenken. Oder hatte sie es etwa ganz bewusst darauf angelegt? Um ein Haar hätte sie verloren, was sie auch einem anderen Mann anbieten konnte, um damit irgendein Ziel zu erreichen …
Es klingelte an der Tür zur Suite. Es war Alexei, der Hoteleigner. „Es geht um Gang Li“, verkündete er ohne Einleitung. „Er ist verschwunden.“
„Verschwunden?“
Aus Vasiliis eisigem Tonfall war purer Hass herauszuhören. Laura zuckte regelrecht zusammen.
„Er sollte doch unter Aufsicht stehen!“
„Das tat er auch. Aber irgendwie hat er es geschafft, die Wache zu bestechen und sich zum Flughafen bringen zu lassen. Dort hat er einen Privatjet gemietet. Da er die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt, kann er jetzt entweder in China oder in Amerika sein. Die Chinesen sind informiert und werden versuchen, ihn festzusetzen, sobald er ins Land einreist. Es tut mir leid, Vasilii. Der Himmel weiß, was er den Leuten gezahlt hat. Die Wache hat sich natürlich auch aus dem Staub gemacht. Wir haben rekonstruiert, was geschehen sein muss.“
Zuerst kam kein einziges Wort über Vasiliis Lippen.
„Entschuldige, Laura“, flüsterte er, nachdem Alexei sich wieder verabschiedet hatte. Betroffen starrte er die Wand hinter ihr an.
„Es ist ja nicht deine Schuld“, erwiderte sie leise. Ihre Hauptsorge galt den anderen Frauen, auf die dieser Mistkerl Gang Li es vielleicht abgesehen hatte. Sie selbst hatte schließlich Vasilii an ihrer Seite, der sie beschützte.
Vasilii wurde von einem erdrückenden Schuldgefühl befallen. Am liebsten hätte er laut geflucht. Es war doch absehbar gewesen, dass dieser Gang Li einen Fluchtversuch unternehmen würde!
„Damit lasse ich ihn nicht davonkommen“, brummte er. „Ich werde mit Wei Wong Zhang reden.“
Wann immer Laura sich gerade ausgeredet hatte, dass Vasilii ihrem Teenagerideal entsprach, tat er etwas, um das Gegenteil zu beweisen. Es fiel ihr irgendwie viel leichter, ihn als Held und Beschützer zu betrachten. Und es weckte immer neue Hoffnung in ihr, ob sie wollte oder nicht.
Als Laura den Raum betrat, der für die formelle Verabschiedung der Geschäftsgäste reserviert worden war, wartete Wu Ying bereits auf sie. Wie immer war sie elegant und makellos gekleidet. Mit einem warmen Lächeln auf den Lippen kam sie auf Laura zu. „Mein Mann wird gleich hier bei uns sein“, begann sie und schenkte auch Vasilii ihr strahlendes Lächeln. „Aber vorher muss ich Ihnen beiden noch etwas sagen. Es geht um die schreckliche Geschichte, die Gang Li sich hat zuschulden kommen lassen. Sie müssen mir glauben, seine Taten werden nicht ungesühnt bleiben. Dafür wird mein Cousin Sorge tragen.“
„Ich hoffe wirklich, dass Gang Li zur Rechenschaft gezogen wird“, knurrte Vasilii.
„Das wird er, keine Sorge“, versprach Wu Ying. „Und was den Vertrag betrifft, hat mein Cousin mich wissen lassen, dass er zukünftig direkt mit Ihnen verhandeln möchte, Vasilii. Bis jetzt hielt er es für ratsamer, kein politisches Interesse an diesem Projekt zu zeigen. Aber Ihre Pläne haben ihn schwer beeindruckt, und er lässt fragen, ob Sie und Laura uns nach China begleiten würden, damit die Gespräche nicht im Sande verlaufen.“
Ihr Blick fiel auf Laura. „Wann immer ich mit Ihrer Assistentin gesprochen habe, hat sie sich unheimlich entschlossen für Ihre Belange eingesetzt. Sie hat mich davon überzeugt, wie fruchtbar sich eine Geschäftsbeziehung zwischen uns entwickeln würde. Dabei habe ich sie als sehr aufrichtig und respektvoll erlebt. Ich konnte meinem
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