JULIA FESTIVAL Band 97
abgelehnt. So war der Einkaufsbummel am Vormittag eine willkommene Gelegenheit für sie und Melissa gewesen, ihre Garderobe zu ergänzen. Ihre Tochter hatte dabei ein ungewohntes Interesse am Shoppen gezeigt.
Als Helen sich nun vorbeugte, um bronzefarbenen Lidschatten aufzutragen, erschien Melissa hinter ihr auf der Schwelle. Schnell setzte sie eine ausdruckslose Miene auf, um ihre Begeisterung über Melissas Äußeres zu verbergen, denn bisher hatte sie damit immer nur Ablehnung hervorgerufen. Es fiel ihr allerdings schwer, weil ihre Tochter in dem lindgrünen Baumwollkleid einfach bezaubernd aussah.
„Na, habe ich einen guten Geschmack oder nicht?“, fragte diese triumphierend. „Du siehst wirklich heiß aus, Mum! Und mindestens zehn Jahre jünger als in dem Sack, den du ausgesucht hattest.“
„Meinst du nicht, dass ich für dieses Outfit zu … alt bin?“, erkundigte Helen sich unsicher, woraufhin ihre Tochter verächtlich schnaufte.
„Mach keinen Stress, Mum. Du siehst toll aus. Milos wird beeindruckt sein.“
Unwillkürlich hielt Helen den Atem an. „Ich will niemanden beeindrucken“, protestierte sie. „Schon gar nicht Milos Stephanides.“ Sie zögerte einen Moment, bevor sie weitersprach. „Ich will nur nicht wie ein … wie ein Teenager herumlaufen.“ Am liebsten hätte sie „Flittchen“ gesagt, aber das konnte sie in Melissas Gegenwart nicht.
„Mit deiner Oberweite? Träum weiter.“ Melissa schnitt ein Gesicht. „Komm, ich habe angezogen, was du wolltest, und deswegen kannst du mir auch den Gefallen tun.“
Also fügte Helen sich in ihr Schicksal. Ihre Tochter sah wirklich bezaubernd aus, allerdings auch älter. Während sie mit ihr die Treppe hinunterging, fragte sich Helen, ob es ein Fehler gewesen war, ihrer Tochter ein neues Image zu verpassen.
Als sie die Terrasse betraten, dämmerte es bereits, und die bunten Lampions in den Bäumen schufen eine beinah magische Atmosphäre. Einige Gäste waren bereits anwesend und plauderten angeregt miteinander. Offensichtlich kannten sie sich alle.
Zuerst entdeckte Helen Maya, die mit Sam zu ihrer Rechten und Alex zu ihrer Linken ausnahmsweise einmal einen glücklichen Eindruck machte. Dann wurde ihr Blick wie magisch von dem großen Mann angezogen, der neben den dreien stand und dessen Züge in der Dämmerung beinah finster wirkten.
Im nächsten Moment hatte ihr Vater sie bemerkt und kam auf sie zu, wobei er sie beide anerkennend musterte.
„Ihr seht beide umwerfend aus!“ Er nahm ihre und Melissas Hand, und Helen stellte fest, dass Melissa sich über das Kompliment zu freuen schien. „Ich bin so stolz, euch endlich bei mir zu haben!“
„Mum sieht gut aus, nicht?“, fragte Melissa. „Ich hab das Outfit ausgesucht. Gefällt es dir?“
Am liebsten hätte Helen sich in ein Mauseloch verkrochen, doch ihr Vater reagierte gelassen. „Ja. Du hast Geschmack, Kleines. Aber deine Mutter ist ja auch eine schöne Frau.“
Nun errötete Helen, und bevor Melissa sie weiter in Verlegenheit bringen konnte, zog Sam sie mit sich. „Kommt mit, meine Gäste möchten euch unbedingt kennenlernen.“
Zu Helens Erleichterung sprachen die meisten Anwesenden zumindest ein bisschen Englisch. Offenbar hatte ihr Vater ihnen erzählt, dass sie verwitwet war, denn viele bekundeten ihr Mitgefühl.
Milos’ Schwester war ebenfalls gekommen, und nachdem Helen einige Worte mit ihr gewechselt hatte, war ihr klar, warum Melissa sie so mochte. Vielleicht erklärte es auch, dass ihre Tochter sich von ihrer besten Seite zeigte.
Als Sam an die Bar zurückkehrte, wo er seine Gäste mit Drinks versorgte, gesellte Alex sich zu Helen. „Inzwischen hast du sicher gemerkt, dass wir Griechen jeden Anlass zum Feiern wahrnehmen“, meinte er trocken. „Ich freue mich so für Sam, weil ich weiß, wie er dich all die Jahre vermisst hat.“
„Er hat mir auch gefehlt.“ Erst in diesem Moment wurde ihr bewusst, wie sehr. Stirnrunzelnd fügte sie dann hinzu: „Du musst sehr jung gewesen sein, als deine Mutter und er … zusammengekommen sind.“
„Zehn“, bestätigte er nickend. „Sam war immer wie ein Vater für mich.“
„Das glaube ich.“
Am liebsten hätte sie ihn noch mehr gefragt, und als hätte er ihre Gedanken gelesen, fuhr Alex fort: „Mein Vater war Fischer. Er ist vor meiner Geburt ertrunken. Meine Mutter und er waren nicht verheiratet.“
Helen nickte. Er tat ihr genauso leid wie Maya. Es musste schwer für sie gewesen sein, ein Kind zu erwarten und
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