JULIA SOMMERLIEBE Band 21
des Londoner Nachtlebens, dass im Clarence, das genauso etabliert und wunderschön ausgestattet wie das Ritz war, eine ganz besondere Frau zu bewundern sei.
Als Linda den Feuer vo gel spielte, machte sie die Zuhörer tatsächlich glauben, dass winzige Flammen um ihre schlanke Gestalt züngelten. Ein Effekt, der durch das ausgeklügelte Spiel der Scheinwerfer, ihr rotes Kleid und vor allem ihre Musik hervorgerufen wurde. Wie immer applaudierten die Zuschauer am Ende begeistert. Und manchmal eilten junge Männer hinter Linda her, wenn sie hinter den Vorhang schlüpfte, als wollten sie die Flammen löschen, die sie in ihrer Vorstellung um Lindas schlanken Körper züngeln sahen.
In der Garderobe legte Maudie ihr schnell einen Umhang um, weil sie durch ihr intensives Spiel so erhitzt war, als ob tatsächlich Flammen sie umzüngelt hätten.
„Du weißt also immer noch, wie du einen Mann entflammen kannst.“
Bei dem tiefen Klang der Stimme setzte Lindas Herz beinahe aus. „Ach, Maudie, warum hast du ihn nur hereingelassen?“
„Deine Garderobiere ist schlau genug zu wissen, dass sie mich nicht davon abhalten kann“, sagte er. „Und sie hat auch bemerkt, dass wir beide uns unter vier Augen unterhalten müssen.“
„Nein …“ Verzweifelt warf Linda einen Blick zu der gutmütigen Maudie, die bei ihr war, seit sie so großen Erfolg mit ihrer Musik hatte. „Bitte bleib, Maudie!“
Aber sie hatte bereits die Tür geöffnet. „Nein, Liebes, ich mache mich eine Weile rar. Wie der Gentleman schon sagte, haben Sie Privates zu besprechen.“
Als die Tür sich hinter ihr schloss, war Linda zum ersten Mal seit vielen Monaten wieder allein mit El Khalid. Er wirkte immer noch autoritär und entschieden. Und er verstand es immer noch, sie durcheinander zu bringen, sodass sie weiche Knie bekam.
„Warum bist du hier?“ Linda konnte das Zittern aus ihrer Stimme nicht verbannen. „Was … was willst du?“
Er betrachtete ihre Hände, die den Umhang umklammerten, dann hob er den Blick zu ihrem Gesicht. „Vielleicht bin ich gekommen, um dich spielen zu hören.“
Sie warf die Haare zurück. „Glaubst du, dass ich mich verbessert habe, seit ich im sala bei dir zu Hause gespielt habe?“
Eine steile Falte zeigte sich zwischen seinen schwarzen Augenbrauen. „Das scheint schon sehr lange her zu sein.“ Er nahm sein Zigarrenetui, das mit seinen Initialen versehen war, aus der Jackentasche.
„Darf ich?“ Er öffnete das Etui.
„Gewiss. Sie drehte sich zur Frisierkommode um und sah im Spiegel, wie schockiert sie wirkte. Sie hatte geglaubt, dass Karim für immer aus ihrem Leben verschwunden sei.
Mit dem Rauch aus seiner Zigarre wehten ihr auch Er innerungen zu. Erinnerungen an die Wüste, wenn die Son ne unterging und der unendliche Sand hinter den weißen Mauern von Ras Blanca zu einem wogenden Teppich aus wunderschönen Farben wurde. Angespanntes Schweigen hing zwischen ihnen, nur unterbrochen vom leisen Sum men der Heizung an der Wand.
„Bei Allah, in deinem Land ist es immer noch verteufelt kalt. Als ich in Heathrow aus dem Flugzeug stieg, glaubte ich fast, in der Arktis gelandet zu sein.“
„Es ist ja auch bald Weihnachten.“ Linda wagte einen Blick in den Spiegel und sah, dass seine Augen sie wie Messer durchbohrten, als wollte er ihr die Seide und das Chiffon vom Körper reißen.
„Warum bist du davongelaufen?“, wollte er plötzlich so unvermittelt wissen, dass sie zusammenzuckte.
„Du … du weißt, warum.“
„Als ich von Rabat zurückkam, habe ich gesehen, dass du deinen Ausweis und die Papiere gefunden hast. Das hat dich wohl bewogen zu gehen. Aber warum du mich tatsächlich verlassen hast, weiß ich nicht.“
Linda drehte sich zu ihm um und sah ihn mit gequältem Blick an. „Ist es denn wirklich verwunderlich, dass eine Frau ihren Ehemann verlässt, der sie nie geliebt hat?“
Grimmig sah er sie an. Sein Blick wanderte über ihre goldblonden Haare, ihre helle Haut, ihren Mund, der so verletzlich wirkte durch den Schmerz, der sie nie richtig verlassen hatte. Nur wenn sie Klavier spielte, konnte sie ihn vergessen. Jetzt stand Karim vor ihr. Und sie wollte ihn dafür hassen, weil er es wieder geschafft hatte, dass sie ihn liebte.
„Wundert es dich, dass ich nie aufgehört habe, nach dir zu suchen?“, fragte er. „Deine Verwandten wussten nicht, wo du steckst. Durch Zufall hörte ich in einer Bar in Dorchester, wie jemand deinen Namen erwähnte. Schließlich fand ich heraus, dass du hier
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