JULIA WEIHNACHTSBAND Band 22
schließlich zu Melissa. „Wo seid ihr gewesen?“
„Nur in Marokko.“ Nick hatte für seine Frau geantwortet, in dem selbstverständlichen Ton eines welterfahrenen Reisenden.
„Das klingt aber gar nicht nach dir, Melissa.“ Sophie versuchte, das Gespräch mit ihrer Schwester wieder aufzunehmen. „Du warst doch sonst immer gern am Strand.“
Melissas Lächeln wirkte verkrampft. „Ich muss zugeben, dass ich meine Zeit lieber in einem Badeort verbracht hätte, aber du kennst ja Nick und seine Berge …“
Sophie kannte natürlich seine Vorliebe. Nick hatte ihr früher lang und breit von seinen Bergtouren erzählt, genau wie von allem anderen, was er gemacht hatte. Er hatte die verschiedensten Gipfel in den Anden, im Himalaja und den Alpen erklommen, aber er war auch auf Expedition im Amazonasgebiet gewesen, hatte eine Floßfahrt in den Rocky Mountains gemacht und Rhinozerosse in Afrika beobachtet. Er hatte alles gesehen und nichts ausgelassen. Kein Wunder, dass es Sophie damals umgeworfen hatte, als er sich dazu herabließ, Notiz von ihr zu nehmen.
Jetzt wünschte sie sich, nicht so beeindruckt gewesen zu sein.
„Ein Aktivurlaub ist viel besser“, sagte Nick zu seiner Frau. „Den ganzen Tag am Strand zu sitzen ist doch todlangweilig.“
Für ihn vielleicht, aber nicht für Melissa . Zum ersten Mal wurde Sophie bewusst, dass die Ehe ihrer Schwester vielleicht nicht so perfekt war, wie sie sich vorgestellt hatte. Sie selbst hatte sich so sehnsüchtig gewünscht, Nick zu heiraten. Aber hätte sie wirklich gewollt, dass er alle Entscheidungen traf, zum Beispiel, wohin sie in Urlaub fuhren und was sie dort machten?
„Und, wie hat dir die Trekkingtour gefallen?“, fragte sie bewusst ihre Schwester, weil Nicks Einwürfe sie inzwischen irritierten.
„Ach, es war … schön. Wir hatten ein paar nette Leute in der Gruppe.“
„Die reinsten Schafe“, meinte Nick abfällig.
„Dann war es ja genau wie draußen in der Heide“, meinte Bram trocken, und Melissa kicherte.
Doch Nick hatte den Scherz nicht verstanden. „Ich meinte, dass die Leute wie Schafe waren. Sie haben alles getan, was man ihnen sagte.“ Er seufzte. „Die Tour war eine einzige Katastrophe. Der Bergführer schien keine Ahnung von seinem Job zu haben. Offensichtlich hatte er keinerlei Führungsqualitäten. Wenn ich nicht gewesen wäre, hätten die sich nur im Kreis bewegt. Ich habe ihnen dann gezeigt, wo es langgeht.“
„Und wie haben die anderen aus der Gruppe darauf reagiert?“, fragte Bram.
„Keiner hat ein Wort gesagt.“ Nick schüttelte angesichts dieser Undankbarkeit den Kopf. „Ich habe ihnen sogar unseren Katalog gegeben und zugesagt, dass sie einen kleinen Preisnachlass bekommen, aber keiner hat sich gemeldet.“
Sophie warf einen Blick auf Melissa. Sie starrte auf ihren Teller und schien sich entschieden unwohl zu fühlen. Dann bemerkte Sophie, wie Melissa die Augen hob und Bram mit unverhohlener Zuneigung ansah. Bram lächelte und zwinkerte ihr zu, worauf Melissa ein wenig errötete.
Ihr kleiner Blickkontakt hatte etwas sehr Vertrautes, und Sophie wünschte sich, nichts davon mitbekommen zu haben.
Nick hatte sich inzwischen darüber ausgelassen, warum er es vorzog, allein zu wandern.
„Hast du denn keine Angst, dich zu verirren?“, fragte Bram und überlegte, was in aller Welt Melissa und Sophie wohl an diesem Mann lieben mochten.
„Warum sollte ich?“ Nick schenkte sich noch ein Glas Wein ein. „Das ist eine Frage der Erfahrung. Ich war oft genug in der Wildnis, um zu wissen, wie ich Schwierigkeiten aus dem Weg gehen muss.“
„Ich hoffe es.“ Bram sprach ruhig. „Im Winter werde ich immer mal wieder von der Bergwacht gerufen, und es wäre doch peinlich, wenn sich dabei irgendwann herausstellen sollte, dass es sich bei einem Verunglückten um ein Mitglied der Familie handelt.“
Nick lachte laut. „Das wird bestimmt nicht passieren. Der Punkt ist doch, dass du nur einen kleinen Bereich der Heide kennst, dort wo deine Farm liegt.“ Er lächelte überheblich. „Du solltest selbstverständlich vorsichtig sein, wenn du dich weiter hinauswagen willst. Aber wenn du mehr Erfahrung hast, so wie ich, fühlst du dich überall sicher.“
Als er sich weiter darüber ausließ, wie meisterhaft er sich überall durchzuschlagen wusste, hörte Bram nicht länger zu. Mit Sophie an seiner Seite konnte er sich sowieso nur schwer konzentrieren. Sie sah so verführerisch aus, dass er den Wunsch kaum unterdrücken
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