JULIA WEIHNACHTSBAND Band 22
Schlafzimmer, suchte sie verzweifelt, doch da war nichts.
Allerdings hatte er offensichtlich aufgeräumt. Ihre Kleider, die sie gestern achtlos auf den Boden geworfen hatte, lagen ordentlich auf einem Stuhl, die Kaffeetassen waren gespült und abgetrocknet. Auch im Bad hatte er die Spuren ihrer Liebesnacht beseitigt: Die Flasche mit dem Badesalz war zugeschraubt und stand im Regal, die Handtücher waren aufgehängt …
Wie konnte er eine solche Nacht mit ihr verbringen und dann einfach aufräumen und verschwinden, ohne ein Wort?
Ihr Blick fiel auf die kleine Uhr im Bad. Es war schon nach halb neun. Vielleicht hatte er Dienst? Möglicherweise hatte er sie nicht wecken wollen und beschlossen, später vom Krankenhaus aus anzurufen? Aber sie hatte geplant, den Tag bei ihren Eltern in Yorkshire zu verbringen.
Oh Gott! Sie brauchte mindestens fünf Stunden von Melbury bis Yorkshire, bis zum Lunch würde sie es unmöglich schaffen. Vielleicht sollte sie ihre Eltern anrufen und sie auf morgen vertrösten. Doch Jodie wusste, wie sehr sie sich auf ihren Besuch gefreut hatten. Und wenn sie Sam einfach anrief und ihm sagte, dass sie verreiste? Doch wenn er Dienst hatte, war er jetzt gerade auf der morgendlichen Visite und sie konnte ihm keine Nachricht zukommen lassen, ohne dass die gesamte Station von ihrer Liaison erfahren würde. Außerdem: Wie konnte sie sicher sein, dass es ihn überhaupt interessierte? Vielleicht tat ihm leid, was geschehen war, und er hatte es nicht in Worte fassen können.
Bei diesem Gedanken überfiel sie ein Anflug von Reue. Wie hatte es überhaupt zu der vergangenen Nacht kommen können? Jetzt war alles noch komplizierter als vorher.
Geistesabwesend begann Jodie zu packen und lud ihre Reisetasche und die Kiste mit Weihnachtsgeschenken in den Kofferraum ihres alten VW Käfer. Dann rief sie ihre Eltern an, um ihnen mitzuteilen, dass sie sich verspätete, löschte alle Lichter im Haus, aktivierte die Alarmanlage und verriegelte die Tür.
Jodie ließ den Wagen an und überhörte das Läuten des Telefons. Der Anrufer ließ es lange klingeln. Doch schließlich war Stille.
Als sie an einer Raststätte zwischen Norfolk und Yorkshire eine kurze Pause einlegte, traf der Gedanke sie wie ein Schlag. Sam und sie hatten nicht verhütet. Sie waren so verrückt nacheinander gewesen, dass keiner von ihnen daran gedacht hatte. Und sie hatten mehr als einmal miteinander geschlafen.
Vor Schreck hätte sie fast den faden Kaffee verschüttet. Schnell überschlug sie, wie groß das Risiko war. Ihre letzte Regel hatte sie vor ein paar Tagen gehabt. Es konnte also eigentlich nichts passiert sein. Erleichtert atmete sie auf und machte sich auf den Weg zum Auto.
Es war gut, dass sie einige Tage bei ihren Eltern bleiben konnte. Jodie hätte es jetzt nicht ertragen, Sam zu begegnen und so zu tun, als wäre nichts geschehen. Unmöglich könnte sie unbefangen mit ihm über Patienten und Befunde sprechen. Nicht mehr, nachdem sie wusste, wie sich seine Haut anfühlte, wie zärtlich seine Stimme klang, nachdem er sie geliebt hatte, und wie seine Augen vor Verlangen glänzten.
Drei Tage lang müsste sie so tun, als wäre alles in Ordnung. Danach hatte sie hoffentlich die Kraft, ihm wieder gegenüberzutreten.
Einige Tage nach Neujahr war Jodies Urlaub beendet. Kein einziges Wort hatte sie mit Sam seit ihrer gemeinsamen Nacht gesprochen, und voll banger Aufregung trat sie ihren Dienst an. Wie befürchtet, verhielt er sich während der gemeinsamen Visite höflich und distanziert. Niemand hätte geahnt, wie nah sie sich am Weihnachtsabend gekommen waren. Sam hatte sich wieder in sein Schneckenhaus zurückgezogen. Er hörte zu, wenn ihn jemand etwas fragte, gab Ratschläge, doch jedes Gespräch blieb auf einer rein beruflichen Ebene. Es war wie zuvor: Private Details waren unerwünscht.
Dr. Frost war zurückgekehrt.
Er ist ein hoffnungsloser Fall, sagte Jodie sich, schlag ihn dir aus dem Kopf. Aber sie konnte nicht umhin, sich immer wieder zu fragen, warum er erneut so unnahbar geworden war. Schon früher hatte sie vermutet, dass er irgendwann sehr verletzt worden sein musste. Doch selbst wenn er ihre gemeinsame Liebesnacht als einen Fehler betrachtete – warum blieb er auch den anderen gegenüber so distanziert? War während ihrer Abwesenheit etwas vorgefallen, das alte Wunden in ihm aufgerissen hatte?
Es gab keinen Grund, sich mit Fragen zu quälen. Sam hatte mehr als deutlich gemacht, dass es sie nichts anging. Sie waren
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