Julius Eichendorff 02 - Nomen est Omen - Eifel Krimi
Leute von der Abrissfirma nicht reinlassen, da musste die Staatsgewalt her.
Auf dem umzäunten Platz vor dem Bunkereingang oberhalb Marienthals lagen zerlegte Dieselgroßtanks wie gestrandete Wale. Sie wurden weiter auseinander geschweißt. Anna lehnte an ihrem Dienstwagen.
»So schnell?«, fragte Julius.
»Ich war in der Nähe. Erklärst du mir jetzt, warum du mich so eilig herbestellt hast?«
»Nein. Besser, ich zeig’s dir. Lass uns reingehen.«
Es war ein anderer Weg als beim letzten Mal. Er führte durch drei weiß gekachelte Räume. Im ersten musste die gesamte Kleidung in einen Müllbeutel gesteckt werden. Im zweiten wurde geduscht, auch Ameisensäure stand zum Reinigen bereit. Im dritten erhielt man neue Kleidung.
Im Falle eines erfolgten Atomschlags.
Julius, Anna und ein grau bekittelter Hausmeister gingen schnell hindurch. Alle Kontaminierungen ins Innere tragend. Sie kamen vorbei an einigen Männern in Schutzanzügen, die das Asbest aus den Schlafräumen entsorgten.
»Der Frisörsalon geht komplett ans Deutsche Historische Museum nach Berlin«, sagte der Hausmeister, als sie daran vorübergingen. Es klang wie ein Abschied. Mit zwei weinenden Augen.
»Dauert es noch lange, bis wir da sind?«, fragte Anna.
Julius ging nicht darauf ein. Stattdessen blieb er stehen. »Hast du dir beim letzten Mal die Kanzlerzimmer angeschaut?«
»Die müssen Sie sich ansehen«, sagte der Hausmeister. »Nur Kanzler und Präsident hatten eine eigene Toilette, alle anderen mussten auf gemeinschaftliche. Dazu hatte der Kanzler als Einziger eine Dusche, der Präsident als Einziger eine Badewanne.«
»Und wer höflich fragte, durfte auch die sanitären Anlagen des anderen benutzen«, sagte Julius. Er erhielt keine Reaktion. Anna und der Hausmeister sahen ihn mit Unverständnis an.
»Das ist das Kanzlerschlafzimmer, hier standen früher Bett, Spind und Stuhl drin, aber das ist alles schon ausgeräumt.«
Zu sagen, der Anblick wäre wenig aufregend gewesen, wäre grober Übertreibung gleichgekommen. Es war ein kleiner, rechteckiger Raum mit grünen Wänden. Niemand hätte ihn auch nur eines Blickes gewürdigt. Der vorgesehene Inhalt machte ihn besonders.
Weiter ging es. Julius, mehr Kugelfisch als Flunder, fühlte sich in den schmalen Gängen beengt. Ab und an musste sich die kleine Gruppe in einen Nebengang stellen, damit ein Mitarbeiter der ostdeutschen Abrissfirma mitsamt orangefarbenem, motorisiertem Wägelchen passieren konnte. Der Weg war lang. Viele Leitungen, Rohre und Türen lagen vor ihnen. Anna war schweigsam, Julius ließ sich auf die Faszination der Räume ein. Vom Bunkerkoller, dem er sich bei seinem ersten Besuch noch nahe gefühlt hatte, war nichts mehr zu spüren. Er musste seiner Begeisterung einfach freien Lauf lassen.
»Es ist eine Schande, dass der Rosengarten zugemacht wird. Das hier ist Beton gewordene Geschichte. Ein Bunker, in dem dreitausend Menschen bei einem Atomschlag dreißig Tage überleben können.« Plötzlich kam er ins Grübeln. »Da fragt man sich doch …«
»… warum?«, sagte der Hausmeister, die Augen träge hinter den dicken Tränensäcken bewegend. »Ja, das fragt man sich. Aber ist nicht jeder Tag lebenswert, und hat der Mensch nicht einen unbändigen Überlebenswillen? Vielleicht hätte es in diesen dreißig Tagen doch etwas zu tun gegeben. Wir werden es nie erfahren.«
»Gott sei Dank«, sagte Anna.
Julius hörte nicht hin. »Das müssten auch andere sehen, je mehr, desto besser. Am besten als Museum. Hier ist der Kalte Krieg, die atomare Bedrohung fassbar.« Er schlug demonstrativ mit der Hand auf den nackten Beton.
»Man atmet sie, nicht wahr?« Etwas wie morbide Begeisterung lag in der Stimme des Hausmeisters. »Hier liegt Angst in der Luft. Wir haben immer mit dem Gedanken an einen Atomangriff gelebt.«
»Und Sie konnten noch nicht mal darüber reden …«, sagte Julius.
»Über die Angst schon. Aber eben nicht darüber, was ich genau gemacht habe. Es galt absolute Schweigepflicht. Nichts gegenüber meiner Frau, nichts zu den beiden Kindern. Kein Wort zu den Freunden in der Kneipe, wenn die von der Arbeit erzählten. Und später kam dann raus, dass ein DDR -Spion einen beim Verteidigungsministerium ausspioniert hat. Unsere ganze Geheimnistuerei hätten wir uns sparen können, die wussten eh alles.«
Die Historie hat einen schwarzen Humor, dachte Julius. Er erkannte nun einige Gänge wieder. Hier war er schon gewesen. Damals hatte der Tourführer Zahlen
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