Julius Eichendorff 02 - Nomen est Omen - Eifel Krimi
ein Posaunist und blies in das weiße Geriesel. Wieder landeten zwei Blätter vor ihm, das obere lag auf dem Kopf, er drehte es um und verglich die beiden Seiten.
Nein …
Hier fand sich keine Antwort.
Er griff zur letzten Lotto-Flasche – Zusatzzahl 2002. Ein »Au Bon Climat« Chardonnay aus Kalifornien. Eigenständigkeit, Persönlichkeit, ein Riese an Komplexität, ein Wein, der ihn mitten ins Nervenzentrum traf.
Was stand da auf den Blättern?
Diesmal lachte er sogar noch lauter. Und er sprang auf und vollführte einen Veitstanz im Restaurant, bis er schwindelig zu Boden fiel. Das Lachen endete trotzdem nicht, das Zwerchfell schmerzte.
Er war nicht das nächste Opfer.
Gott sei Dank!
Das Lachen hörte auf.
Er musste das Opfer warnen. Sofort!
Julius sprintete zum Telefon und rutschte dabei beinahe auf den verstreut liegenden Blättern aus. Die Nummer, er kannte die Nummer nicht! Das Telefonbuch fiel ihm aus der Hand, er klaubte es auf, blätterte, falsche Seite, falsche Seite, als er sie endlich hatte und das Telefon ergriff, rutschte sein Finger, der die entsprechende Zeile markierte, ab. Ruhig Blut, Brauner! Ganz ruhig! Endlich wählte er die Nummer und wartete auf die Stimme des Opfers.
Sie ertönte nicht.
Nur das Freizeichen. Dann der Anrufbeantworter, auf den Julius aber nicht sprach. Er schrie darauf. Falls die Person gerade im Bad war oder im Keller, sie musste es hören!
Trotz des Schreiens hob niemand ab.
Julius hängte den Hörer auf und legte das Telefonbuch ordentlich an seinen Platz. Die Jacke holen, und dann schnell. Er musste hin. Was für einen Blödsinn dachte er da? Vorher galt es natürlich Anna anzurufen! Ohne polizeiliche Rückendeckung wäre es eine lebensmüde Tat.
Das Telefon klingelte. Es gab also doch so etwas wie Gedankenübertragung.
»Es ist da!« Das war nicht Anna. »Gerade vor einer Viertelstunde ist es passiert.« Das war Tante Traudchen. »Mutter und Kind sind wohlauf.«
Dafür hatte er keine Zeit, so freudig das Ereignis war. Genau das sagte er auch. Genau das zeigte keinerlei Wirkung.
»Red doch keinen Quatsch! Also: Es ging ganz schnell. Die Anke hat heute Morgen die Wehen bekommen, und dann sind die beiden direkt ins Krankenhaus. Ich kann dir sagen, es ging alles problemlos, das flutschte nur so.« In ihrem Lachen war Erleichterung zu spüren. »Das Kind ist wohlauf, zehn Finger, zehn Zehen, und auch ansonsten alles an der richtigen Stelle.«
Er musste weg. Wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, wer das nächste Opfer war, und daran hatte er keinen Zweifel, dann war jede Sekunde wichtig. Die Warnung hatte den potenziellen Verräter sicher nicht weich gemacht, er hatte sicher weiter mit dem Feuer gespielt, gedroht, Geld verlangt.
Das konnte sich der Mörder nicht bieten lassen.
»Tapfer war unsere Anke, das kannst du dir gar nicht vorstellen! Eine Spritze hat sie sich natürlich geben lassen. Keinen Mucks hätte sie von sich gegeben, meinte der Arzt. Ein stattlicher Mann war das, also wirklich.«
Julius glaubte jedes Wort nur zu gern. Er musste aber weg und vorher telefonieren. Nichts von beidem war mit Tante Traudchen in der Leitung möglich. »Kannst du mir das alles morgen erzählen? Ich muss ganz, ganz dringend weg.«
»Du bist mir vielleicht einer! Ich rufe dich extra aus dem Krankenhaus an, als Allerersten, und dann stellst du dich so an. Was kann es Wichtigeres geben als ein neues Menschenleben?«
Ein altes, das bald enden würde.
»Ich erklär dir alles morgen, du wirst es verstehen.«
»Nein, du bleibst schön am Telefon!« Die stolze Großmutter klang nun beleidigt. »Ich hab dir das Wichtigste noch gar nicht erzählt. Möchte ich eigentlich auch gar nicht mehr.«
Julius kannte diesen Tonfall. Er trug den Namen »Beleidigte Leberwurst«. Sollte er ein Bild dazu zeichnen, wäre es ein Mund mit vorgeschobener Unterlippe. Tante Traudchen wollte tröstende, versöhnliche Worte hören. Sie hatte es doch nur gut gemeint. Eine Entschuldigung war fällig. Julius blickte auf die Uhr. So lang sprachen sie schon?
»Ich freu mich doch, dass du angerufen hast. Ich hab ja jeden Tag mit eurem Anruf gerechnet. Jetzt bist du also stolze Großmutter! Dabei siehst du noch überhaupt nicht aus wie eine Oma.«
»Ach, erzähl doch nicht so einen Blödsinn!« Aber ihre Stimme sagte: Danke, dass du ihn erzählt hast. Bei Gelegenheit mehr davon. »Wie gesagt, das Wichtigste hab ich dir noch gar nicht erzählt: Es ist ein Junge!«
Das war die wichtige Nachricht?
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