Junger, Sebastian
man
hätte erwarten können, sondern dadurch, dass ein enger Freund im Kampf gefallen
war. Das traf ganz sicherlich auch auf Restrepo zu. Fast jeder Mann war dem Tod
nur haarscharf entgangen, aber diese Traumata wurden so gut wie nie diskutiert.
Viel eher waren es die Verluste in der Einheit, die den Männern nicht aus dem
Kopf gingen. Nur ein einziges Mal sah ich dort oben jemanden weinen, und das
war, als ich Pemble fragte, ob er darüber froh sei, dass der Vorposten nach Doc
Restrepo benannt worden war. Pemble nickte, versuchte zu antworten, und dann
vergrub er auch schon das Gesicht in den Händen.
Cortez war
noch ein Mann, der mit dem Verlust Restrepos zu kämpfen hatte. »Sein Tod hat
uns ziemlich schlimm getroffen«, sagte er mir Monate später mit typischer
Untertreibung. »Wir haben ihn wie einen Bruder geliebt. Ich hab in ihm wirklich
einen älteren Bruder gesehen, und nachdem er gefallen war, war mir eine Zeit
lang fast alles egal. Mir war es egal, ob auf mich geschossen wurde oder ob ich
dort oben starb. Ich rannte einfach hinaus ohne Deckung, weil es mir schnurz
war, und ich wurde vomTeam Leader zusammengestaucht, aber das war mir auch
egal. Ich hatte keine Angst, ehrlich nicht, mir war nur alles egal. Mir war
egal, ob ich sterben würde oder nicht.«
Jemand
wies Cortez schließlich darauf hin, wenn er getroffen würde, müsse jemand
anders durchs Gewehrfeuer laufen, um ihn zu retten, und die Vorstellung, für
den Tod eines seiner Brüder verantwortlich zu sein, reichte, ihn umdenken zu
lassen. Seine Reaktion verweist jedoch auf eine Ironie der Kriegspsychologie -
die logische Kehrseite des Heldentums. Ist man bereit, sein Leben für eine
andere Person zu geben, ruft deren Tod eine größere Bestürzung hervor als der
mögliche eigene, und heftige Kampfhandlungen könnten eine ganze Einheit allein
durch Trauer außer Gefecht setzen. Der bewaffnete Kampf forciert jedoch alle
Handlungen so stark, dass die meisten Männer psychologische Probleme bis zu
einem späteren Zeitpunkt ausklammern. »Ein müder, frierender, verdreckter
Schütze geht mit dem bitteren Geschmack der Furcht auf den trockenen Lippen
den Mörsergranaten entgegen und ins Maschinengewehrfeuer eines entschlossenen
Feindes«, schrieb Stouffer in The American Saldier. »Eine
gewaltige psychologische Mobilisierung ist nötig, damit ein Individuum das nicht
nur einmal tut, sondern viele Male. Im Kampf nämlich, wo sonst, sollte es uns
möglich sein, Verhaltensdeterminanten von großer Bedeutung zu beobachten.«
Manche
dieser Verhaltensdeterminanten - wie zum Beispiel die Bereitwilligkeit, Risiken
einzugehen - scheinen sich im Charakterbild junger Männer unverhältnismäßig
häufig zu finden. Junge Männer werden ungefähr fünfmal so oft Opfer von
Unfällen oder Morden wie junge Frauen. Statistisch ist in Amerika ein
Lebensjahr als junger Mann im Vergleich mit einem Jahr als Polizist oder
Feuerwehrmann sechsmal gefährlicher, und es ist weitaus gefährlicher als der
einjährige Einsatz auf einer großen Militärbasis in Afghanistan. Man muss sich
schon auf eine abgelegene Firebase wie den KOP oder Camp Blessing begeben, um
ein Risikoniveau zu finden, das höher ist als das, mit dem ein heranwachsender
Mann zu Hause in Amerika leben muss.
Der
bewaffnete Kampf ist jedoch nicht nur eine Frage des Risikos, sondern auch eine
der Bewältigung. Der grundlegende neurologische Mechanismus, der Säugetiere
veranlasst, Dinge zu tun, heißt dopaminerges Belohnungssystem. Dopamin ist ein
Neurotransmitter, dessen Wirkung im Gehirn mit der von Kokain vergleichbar ist,
und er wird freigesetzt, wenn eine Person ein Spiel gewinnt oder ein Problem
löst oder eine schwierige Aufgabe erledigt hat. Das dopaminerge
Belohnungssystem ist bei beiden Geschlechtern wirksam, wenn auch stärker bei
Männern, und daher zeigen die sich besessen von Beschäftigungen wie Jagen,
Glücksspiel, Computerspielen und Krieg. Wenn die Männer des 2 nd Platoon missgelaunt im Vorposten murrten, lag das unter anderem auch daran,
dass sie nicht ihre gewohnte Dosis Endorphin und Dopamin bekamen. Stattdessen
spielten sie Videospiele. Frauen können diese Fähigkeiten ebenfalls meistern,
ohne dass es im Lustzentrum ihres Gehirns - hauptsächlich im
mesokortikolimbischen Zentrum - funkt, als hätten sie sich gerade eine Linie
Kokain reingezogen.
Verführerisch
am bewaffneten Kampf und anderen »Deep Games« ist unter anderem, dass sie so
komplex sind und es sich beim besten Willen nicht
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