Junger, Sebastian
Afghanistan gebetet«, schrieb mir O'Byrne, nachdem alles vorüber
war. »Das war, als Restrepo erschossen wurde, und ich betete zu Gott, dass er
ihn am Leben lassen möge. Aber Gott, Allah, Jehova, Zeus, oder wie auch immer
jemand Gott benennt, war nicht in jenem Tal. Der bewaffnete Kampf ist das Spiel
des Teufels. Gott wollte daran keinen Anteil. Und deswegen wurden unsere Gebete
nicht erhört. Zugehört hat nämlich nur Satan.«
Im
November 1943 trafen zehn Rifle Companies der l st Infantry Division
in England ein, um sich auf die Invasion Frankreichs vorzubereiten, das von
den Nazis besetzt war. Die Männer hatten sich durch Nordafrika und Italien gekämpft
und waren jetzt als Speerspitze für das größte und entscheidende Gefecht des
Zweiten Weltkriegs aufgestellt. (Sie hatten so viele Kampfhandlungen
durchgestanden, dass ein bitterer Spruch die Runde machte: »Die Army besteht
aus der l st Infantry Division und acht Millionen Ersatzleuten.«) Als
die Männer sich auf die Invasion vorbereiteten, wurde von ihnen verlangt,
Fragebögen auszufüllen, die von einer neuen Dienststelle mit Namen Army
Research Branch erstellt worden waren. Mit der Studie sollte herausgefunden
werden, ob die mentale Einstellung unter den Soldaten darauf schließen ließ,
wie sie sich im Kampf verhalten würden. Ähnliche Fragebögen wurden auch den
neuen Einheiten vorgelegt, die gerade erst aus den Vereinigten Staaten
eingetroffen waren - den Cherrys, wie sie bereits damals genannt wurden.
Mehrere
Monate später stürzten sich diese Männer in das Artillerie- und
Maschinengewehrfeuer, das die Strände der Normandie durchpflügte, überrannten
die deutschen Stellungen und befreiten schließlich Paris. Die Verluste im
zweimonatigen bewaffneten Kampf betrugen ungefähr sechzig Prozent, unter den
Offizieren sogar noch mehr. Was jedoch die Soziologen im Research Branch
interessierte, waren die Verluste, die nicht den Körper, sondern den Kopf
betrafen - also Männer, die durch Trauma und Angst den Verstand verloren
hatten. Auf vier Männer, die im Kugelhagel gefallen waren, kam durchschnittlich
einer, den man aus psychologischen Gründen vom Schlachtfeld geholt hatte.
Verluste dieser Art variierten von Einheit zu Einheit und galten als Spiegel
der kämpferischen Fähigkeiten dieser Gruppen. Die Army wollte herausfinden, ob
sich diese Fähigkeiten im Voraus bestimmen
ließen, und zwar allein mithilfe von Fragen.
Es war
möglich, wie sich herausstellte. Der Research Branch - der seine Ergebnisse
schließlich in einem grundlegenden Werk mit dem Titel The
American Soldier; Combat and Its Aftermath, herausgegeben
von dem Soziologen Samuel Stouffer, veröffentlichte - fand heraus, dass in zehn
von zwölf Regimentern die Kompanien, in denen der Kampfgeist schwach war, mit
weitaus größerer Wahrscheinlichkeit als andere unter psychischen Ausfällen zu
leiden hatten. Stouffer berechnete, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, dass
dies reiner Zufall war, also kein statistischer Zusammenhang zwischen dem einen
und dem anderen bestand, weniger als zwei Prozent betrug. Fragenbogen um
Fragebogen versuchte die Studie, aus den Köpfen tausender Soldaten
hervorzulocken, was genau sie in die Lage versetzte, in einem Umfeld zu funktionieren,
das so höllisch und verwirrend war wie der moderne bewaffnete Kampf. Mögen die
Bedingungen auch gleich sein, sind manche Männer doch bessere Soldaten als
andere, agieren manche Einheiten besser als andere. Die
Charaktereigenschaften, die diese Männer und diese Einheiten auszeichnen,
könnte man den Heiligen Gral der Kriegspsychologie nennen. Man könnte in ihnen
die Grundlage dessen sehen, was die Menschen allgemein als »Mut« bezeichnen.
Eine
israelische Studie, die während des Jom-Kippur-Krieges 1973 erstellt wurde, kam
zu dem Ergebnis, dass höchstleistende Soldaten intelligenter, »maskuliner«,
sozial reifer und emotional stabiler waren als der Durchschnitt der Männer. Zudem
erwiesen sich Kampfschwimmer, die in straff geführten Kibbuzgemeinschaften
Verhaltensprobleme hatten, als weitaus bessere Kämpfer im Vergleich zu
»konformistischen« Tauchern, die nie in Schwierigkeiten gerieten. Am anderen
Ende des Spektrums fand sich die Information, dass von zehn Männern, die im
Kampf psychisch zusammenbrachen, acht zu Hause Probleme hatten: eine schwangere
Frau, eine finanzielle Krise, ein Todesfall in der Familie. Die Zusammenbrüche
wurden in den wenigsten Fällen von einer Nah-Tod-Erfahrung ausgelöst, wie
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