Junger, Sebastian
Rücken an eine Steinmauer gestützt, und
Kearney geht in die Hocke, um sie anzusprechen, steht aber schon bald wieder
auf. »Leute, ich bin hier, um euch zu sagen, warum ich getan habe, was ich getan
habe. Ich bin Captain Kearney, der US-Commander für das Korengal«, sagt er und
wartet, bis der Dolmetscher fertig ist. »Wenn ich in Dörfer komme und RPGs und
Waffen finde, mit denen auf mich und die ANA geschossen wird, bedeutet es, dass
hier schlechte Menschen sind. Gute Menschen haben solche Waffen nicht.«
Jeweils
nach ein paar Sätzen hält Kearney inne, damit der Dolmetscher nachkommt. Dabei
geht er auf und ab und erregt sich immer mehr. »Ich kann nach Aliabad
hineingehen, ohne beschossen zu werden, und ich finde dort auch keine Waffen
... und dann komme ich in euer Dorf und finde RPGs.« Er nimmt einen Werfer für
raketengetriebene Granaten zur Hand und schwenkt ihn den Ältesten entgegen.
»Ich wette, ich könnte diesen Granatwerfer jedem beliebigen von euren Jungen
hier geben, und er wüsste, wie er damit feuern kann - obwohl er wahrscheinlich
noch nicht mal lesen kann.«
Er zeigt
auf einen jungen Mann, der vor ihm sitzt. »Weißt du, wie man mit dem Ding hier
schießt?«
Der junge
Bursche schüttelt den Kopf.
»Hab ich
mir schon gedacht.«
Kearney
sieht sich um. »Ihr habt hier Aufständische unter euch, die gegen mich sind und
gegen die ANA und gegen die Regierung. Die werden euch Schaden zufügen, wenn
ihr mich nicht unterstützt. Ich konnte fünfzig Aufständische ausmachen, die
sich in eurem Dorf befanden und in der Umgebung. Im ersten Gebäude, das ich
eingenommen habe, als ich am nächsten Morgen wieder hinkomme, finde ich fünf
RPGs. Also weiß ich, es sind nicht nur gute Menschen im Gebäude, sondern auch
schlechte.«
Hajji
Zalwar Khan, der reiche und ehrwürdige Führer des Tals, sitzt mit überkreuzten
Beinen direkt vor Kearney auf dem Boden. Er trägt einen weißen Bart und hat ein
sympathisches Gesicht mit einer schmalen Adlernase, das in einem Pariser Cafe
ohne Weiteres als französisch durchgehen könnte. Kearney bittet ihn am Schluss
seiner Rede geradeheraus um Hilfe: Er möchte, dass Zalwar Khan Delegierte aus
Yaka Chine zur wöchentlichen Shura im KOP mitbringt. Der alte Mann sagt, dass
Kearney das Benzin für die Fahrt bereitstellen müsse, und Kearney will schon
zustimmen, als er sich noch einmal besinnt.
»Ich hab
dir doch schon gesagt: Ein Duschka, und ich zahle für dein Benzin«, sagt er.
»Wenn du mir verrätst, wo ein Duschka ist, gebe ich dir Benzin für jeden
Freitag, solange ich hier bin.« Zalwar Khan lacht. Kearney zwickt eine
Nasenwurzel und schüttelt den Kopf.
»Hajji,
ich vertraue dir«, sagte er. »Ich vertraue dir.«
Ostlund
ist als Nächster dran. Er steht barhäuptig da und glatt rasiert und ähnelt eher
dem attraktiven Hauptdarsteller in einem Kriegsfilm als einem echten Commander
im gefährlichsten Tal Afghanistans. In einer respektvollen und ernsthaften
Ansprache appelliert er an die Männer, die er vor sich hat, eher als Ehemänner
und Väter denn als potenzielle Feinde.
»Wir sind
mit einem Mandat der US-Regierung hergekommen und auf Anordnung der
afghanischen Regierung und der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte«, sagt
er. Der Dolmetscher spricht die Sätze auf Paschtunisch, hält inne und sieht
sich um. »Und wir wurden gebeten, den Fortschritt in alle Winkel Afghanistans
zu bringen. Irgendwie ist es jedoch Übeltätern gelungen, einem Teil eurer
Bevölkerung einzureden, dass wir kommen, um den Islam infrage zu stellen und
die Moscheen zu schänden und afghanische Menschen zu unterdrücken. Das sind
alles Lügen. Unser Land unterstützt sämtliche Religionen.«
Der
Dolmetscher kommt jetzt nach. Keine Miene wird verzogen.
»Alle
meine Offiziere sind so gebildet und ausgebildet, dass sie an einer Universität
lehren könnten«, fährt Ostlund fort. »Ich fordere eure Ältesten auf, sie mit
Arbeit zu versorgen, sodass sie euer Land aufbauen können und euer Tal in
Ordnung bringen. Das ist ihre Aufgabe - das ist es, was ich von ihnen verlange
-, aber sie können es erst, wenn ihr uns helft, für Sicherheit zu sorgen.«
Der
Dolmetscher ist gut. Er vermittelt Ostlunds Argumente nuancenreich und
gefühlvoll und lässt den Blick immer wieder über die alten Männer streifen, als
hielte er eine Predigt. Weiterhin erwidern sie ungerührt seinen Blick. Sie
haben die Sowjets erlebt und sie haben die Taliban erlebt, und keiner hat es
in Yaka Chine
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