Junger, Sebastian
Basen malten der Presse ein
bestimmtes Bild vom Krieg, und dieses Bild war nicht falsch, erschien aber
verblüffend unvollständig. Es gab tatsächlich Fortschritte im Land, und die
Afghanen wussten durchaus zu schätzen, was Amerika zu tun versuchte, aber das
Land brach auch an den Ecken und Kanten auseinander, und darüber sprachen die
Presseoffiziere nicht gerne. Während des Jahres, das ich im Korengal
verbrachte, sprengten die Taliban das eleganteste Hotel in Kabul in die Luft,
kämpften in den Außenbezirken von Kandahar, griffen dann das Stadtgefängnis an
und befreiten Dutzende aufständische Kampfgenossen. Obendrein hätten sie es
beinahe geschafft, den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai umzubringen. In
dem Jahr wurden mehr amerikanische Soldaten getötet als in irgendeinem Jahr
zuvor, aber wenn man darauf hinwies, bekam man die Antwort, es läge daran, dass
wir jetzt »den Kampf zum Feind tragen«. Das mochte durchaus stimmen, aber es
fehlte das Eingeständnis, dass der Feind definitiv seinen
Arsch hochgekriegt hatte.
Ich sah
darin »Vietnam-Momente«. Ein Vietnam-Moment war eine Situation, in der man zwar
nicht in die Irre geführt, aber doch gebeten wurde, sich eine Art kollektiven
Wunschdenkens anzueignen. Gegen Ende meines Jahres griffen die Taliban zum
Beispiel eine amerikanische Basis nördlich des Pechs an, töteten neun
amerikanische Soldaten und verwundeten die Hälfte der Überlebenden. Als ich
amerikanische Commander um Auskunft dazu bat, liefen ihre Antworten nur darauf
hinaus, letztlich habe es sich um einen amerikanischen Sieg gehandelt,
denn in dem Kampf seien auch vierzig oder fünfzig feindliche Kämpfer gefallen.
Da die Armee bereits eingeräumt hatte, dass man es nicht mit einem Zermürbungskrieg
zu tun hatte, empfand ich es als fadenscheinige Ausflucht, Verluste des
Feindes zur Definition des eigenen Erfolgs zu machen.
Und wir
Reporter hatten unsere eigenen Konflikte. Vietnam war auch unser Paradigma, unsere Schablone dafür, vom US-Militär nicht hinters Licht
geführt zu werden, und es hatte einen so massiven Einfluss, dass alles außer
unerbittlichem Zynismus manchmal schon wie Verrat erschien. Die meisten
Journalisten wollten über Kampfhandlungen berichten - im Gegensatz zu
humanitären Einsätzen - und ließen sich bei Kampfeinheiten »einbetten«. Sie
malten das Bild eines Landes, das im Krieg gefangen war. Tatsächlich aber
waren die meisten Gebiete des Landes relativ stabil; man musste schon
ziemliches Glück haben, in eine Situation zu geraten, die zumindest vage an
ein Feuergefecht gemahnte. Wenn man so ein Glück hatte, dann reagierten natürlich
die anderen Journalisten mit nörgeligem Neid und fragten, wie sie auch zu
dieser Einheit stoßen könnten. Bei einer Dinnerparty zu Hause wurde ich einmal
gefragt, und zwar mit vielsagendem Augenzwinkern, wie sehr das Militär meine
Berichterstattung »zensiert« habe. Ich antwortete, dass ich noch nie zensiert
worden sei und dass ich einmal einen PR-Offizier gebeten hatte, für einen
meiner Artikel die Fakten zu prüfen. Er hatte geantwortet: »Sicher, mache ich,
aber zeigen dürfen Sie mir den Artikel nicht -
das wäre illegal.«
So eine
Geschichte wollte eigentlich niemand hören, und ich kam mir fast ein bisschen
blöd vor, sie erzählt zu haben. Vietnam galt als moralisch zweifelhafter Krieg,
der von Wehrpflichtigen geführt wurde, während der Rest der Nation Acid
einwarf und Jimi Hendrix hörte. In Afghanistan hingegen kämpften Freiwillige,
die ihre Commander mehr oder weniger respektierten und sich der Dankbarkeit der
großen Mehrheit der Amerikaner daheim sicher sein durften. Wer auf den Gedanken
kam, dass sein Job als Reporter darin bestand, sich an die Soldaten
ranzuschmeißen und anschließend die »wahre« Geschichte zu erzählen, wie sie in
einem sinnlosen Krieg ihr Leben ließen, musste sich auf eine Überraschung
gefasst machen. Die Commander würden merken, dass er von einer besonderen
Warte kultureller Programmierung arbeitete, und versuchen, ihn umzustimmen,
aber die Männer würden sich keine großen Gedanken machen, sondern einfach nicht
mit ihm sprechen, bis er die Basis verließ.
Manchmal
begegnete man Soldaten, die in keine fest umrissene Kategorie passten. Das
waren Männer, die an den Krieg glaubten, aber auch genau wussten, wie sehr sich
das amerikanische Militär der Selbsttäuschung hinzugeben vermag. »Wir werden
den Krieg nicht gewinnen, bis wir zugeben, dass wir ihn verlieren«, sagte
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