Junger, Sebastian
ich die Tradition respektieren
werde, nach der Shuras ohne Hinterlist sein müssen.«) Soweit ich weiß, hat ihn
keiner beim Wort genommen, aber mir gefiel, dass er immer wieder auf diese
Weise handelte. Er war der höchstrangige Offizier, der auf Restrepo übernachtete,
und die Männer berichteten mir, dass er gar nicht erst nach einer unbesetzten
Koje gesucht, sondern sich einfach auf dem Boden zusammengerollt und geschlafen
hatte. Sie sagten auch, dass er nicht einmal seinen Schutzpanzer abgenommen
hatte.
Ostlunds
Basis war Camp Blessing, von wo aus man das Tal des Flusses Pech überblickte,
wenige Meilen westlich vom Korengal. Es handelte sich um eine
zusammengewürfelte Ansammlung von gemauerten Behelfsbauten, die ungeordnet
einen Berghang hinauf krochen. Das neueste Haus stand auf der Kuppe und roch
noch nach frischem Zement. Der Marktflecken Nagalam lag eine Meile weiter
östlich und schmückte sich mit einem »Männerklub«, was auch immer das bedeuten
sollte. Bei Nacht blitzten Lichter wie von einer Weihnachtsdekoration über den
Hausdächern. Blessing war der Haltepunkt für Vorratskonvois in den Korengal,
weil sie es auf diese Weise an einem Tag hin und zurück schaffen konnten. (Die
Nacht im KOP zu verbringen kam einem Selbstmord gleich: Es gab nur eine Straße,
die aus dem Tal hinausführte, was dem Feind eine ganze Nacht Zeit gab, Bomben
einzugraben.) Die Konvois hießen Combat Logistical Patrol, kurz CLPs, und die
Verantwortung für sie trug die Fusion Company, die diese Fahrten den Pech
hinauf alle paar Wochen unternahm und fast jedes Mal angegriffen wurde. Ein CLP
bestand normalerweise aus einem Dutzend gepanzerter Humvees und so ungefähr
zwanzig einheimischer »Jingle«-Trucks, die von Afghanen gefahren wurden. Die
Straße nach Blessing war frisch asphaltiert worden, was bedeutete, dass Konvois
zu schnell waren, um einem Hinterhalt zum Opfer zu fallen, aber auf den
letzten paar Meilen in den Korengal war die Straße unbefestigt und galt als
das gefährlichstes Wegstück im ganzen Land. Mechaniker der Army montierten ein
.50cal-Maschinengewehr auf einen Abschleppwagen, weil man selbst von
Bergungsleuten und Mechanikern erwartete, das Feuer zu erwidern. Man sagte
mir, dies sei der einzige bewaffnete Abschleppwagen in der U. S. Army.
Mir
gelingt es bis zur Hälfte meiner Tour, die CLPs zu meiden, aber dann hat eine
Reihe von Winterstürmen zur Folge, dass vierzehn Tage lang alle Flüge eingestellt
werden. An einem ungemütlichen Januartag mit hohen Wolken, die nur schwachen
Sonnenschein durchlassen, rollen wir aus der Basis. Der Wind pfeift völlig
ungehindert vom Hindukusch herab. In der Nacht zuvor hatte die Able Company im
Watapor-Tal zwanzig oder dreißig Kämpfer entdeckt und sie mit Artillerie und
Luftunterstützung ausradiert. Die meisten Toten erwiesen sich als Korengalis.
Am Morgen unseres Aufbruchs nimmt mich ein PR-Offizier zur Seite und sagt, er
habe die Information, eine Zelle der Taliban im Tal wisse von unserem Konvoi
und wolle ihn angreifen. Solche Nachrichten hört ein Journalist mit größtem
Interesse, solange alles gut geht. Das kann man jedoch nur herausfinden, indem
man tief durchatmet und nachsieht.
Ich habe
einen Platz im zweiten Humvee gefunden, mit Captain John Thyng, dem Commander
der Fusion Company. Thyng war im Irak von einer am Straßenrand detonierten
Bombe getroffen worden und schien sich mehr oder weniger damit abgefunden zu
haben, dass Ähnliches auch in Afghanistan geschehen würde. Er sitzt neben dem
Fahrer, und ich sitze schräg hinter ihm. Ein weiterer Soldat sitzt neben ihm,
und oben im Turm wacht ein Schütze mit seinem .50 cal. Man hat mir gesagt, dass
es mir überlassen bliebe, ihm bei Bedarf Munition zu reichen. Sobald unsere
Räder über den Drahtverhau gerollt sind, macht der Schütze seine Waffe klar,
und wir kriechen langsam durch Dschalalabad, bevor wir auf dem neuen schwarzen
Asphaltband, das sich sanft an den Fluss schmiegt, den Norden ansteuern.
Reisfelder säumen das Überschwemmungsgebiet, und hier und da sind Ansammlungen
schartiger Schieferplatten zu sehen, die als Grabsteine dienen und die man wie
Spaten in den Boden gerammt hat. Grüne Gebetsfahnen flattern im Wind um sie
herum. Die Wintersonne lässt die breiten Flussbänder schimmern und das Wasser
so stumpf und zäh aussehen wie Quecksilber. Jenseits davon fällt Bergkette auf
Bergkette nach Osten ab: Pakistan. Ein alter Mann steht auf einem Geröllfeld
und schaut zu, wie wir
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