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Jussifs Gesichter

Jussifs Gesichter

Titel: Jussifs Gesichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Najem Wali
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übernimmst, so wie ich die Last deines Namens trage, falls sie mich verhaften. Denk daran: Nach dir wird immer noch gefahndet! Aber wie auch immer – ich bin du, und du bist ich. Lebe wohl, mein Bruder und Freund. Wir werden uns eines Tages wieder begegnen und uns mit demselben Problem herumschlagen müssen: Im Land der Siegreichen und Gedemütigten, wie du es nennst, gibt es keinen Platz für uns beide. Einer von uns muss sich aus dem Staub machen oder sich verstecken! Ich werde jetzt verschwinden, bis du etwas anderes von mir hörst.«
    Jussif nahm den Koffer und ging auf die Haustür zu. Er stieß sie vorsichtig auf, weil er das Geräusch eines Fernsehers hörte. In dem dunklen Eingang hielt er kurz inne und lehnte sich an die Tür. Vergeblich wartete er darauf, dass eine forschende Stimme nach ihm fragte, immerhin war die Stadt voller Einbrecher. Jussif trat in den Korridor und ging mit überlautenSchritten über den Mosaikboden, um auf seine Ankunft aufmerksam zu machen. Er schob den Vorhang, der den Korridor vom Salon des Hauses trennte, zur Seite. Der Salon war noch dunkler als der Korridor, doch inmitten der Finsternis flimmerte der Bildschirm des alten Schwarzweißfernsehers. In seinem Licht erkannte Jussif die alten Möbel, deren Anordnung sich nicht verändert hatte. Nicht ein Stück fehlte. Unmittelbar vor seinen Augen schimmerten die drei türkisbemalten Stühle, auf denen in verschiedenen Farben Tauben abgebildet waren. Es waren die einzigen Möbelstücke, die der Tante schon gehörten, bevor sie ihren Mann verließ und aus Basra kam, um bei ihnen zu wohnen. Auch sie wartete auf ihren Sohn, von dem das Gerücht ging, er sei seit der Schlacht von Abadan vermisst, der nahezu achtzig Prozent der beiderseits eingesetzten Soldaten zum Opfer fielen. Als er sie einmal fragte, was es mit diesen Stühlen auf sich habe, warum es drei seien, antwortete sie, sie seien für seinen Bruder, für ihn und für ihren Sohn in der Mitte. In dieser Zeit legten seine Mutter und ihre Schwester täglich Männeranzüge, Hemden und Pyjamas auf den Stühlen bereit. Die Sachen hingen ordentlich über den Lehnen von zweien der Stühle. Diesmal allerdings bemerkte Jussif Männerkleidung, die in unordentlichen Haufen auf den Stühlen herumlag. Einige Kleidungsstücke waren neben die Stühle gefallen und behinderten den Blick auf die Stuhlbeine.
    Er musste sich nicht sehr anstrengen: Sie saß da und glotzte in das Fernsehgerät. Gleichzeitig hörte er, wie sie ein Streichholz anriss. Seine Tante hockte also da und schien ihn nicht zu bemerken. Ihre Augen blickten ins Leere und stießen an die Wand des Salons. Doch anders, als er zunächst angenommen hatte, schaute sie nicht in den Fernseher. Vielmehr hatte sie ihn wohl gehört oder gar gerochen. Als er – den Koffer in der Hand – einen Schritt nach vorn machte und wieder stehenblieb, konnte er feststellen, dass sie halb ausgestreckt auf der Seite lag und eine Zigarette rauchte. Sie trug ein hübsches, leicht schimmerndes granatrotes Kleid und glänzende Schuhe, die Jussif noch nicht an ihr gesehen hatte. Vielleicht stammten Kleid und Schuhe von ihrer Hochzeit. Auf dem Tischchen neben ihr standen eine Flasche und vier Gläser. Drei hatte sie hintereinander aufgereiht, das vierte stand etwas abseits.
    Ihre Augen hatte sie jetzt fest auf ihn gerichtet. Sie rauchte ihre Zigarette und griff nach dem Glas. Jussif konnte nicht erkennen, ob es tatsächlich etwas enthielt. Sie hielt es fest und strich mit ihrer Hand darüber, wie es Menschen in Filmen tun. Plötzlich stieß sie ein kurzes Lachen aus. Es war so kurz, dass man nicht erkennen konnte, ob es Heiterkeit, Überraschung, Hoffnung oder Freude ausdrücken sollte. Jussif warf unwillkürlich einen Blick auf das Gesicht der Tante, das klein, rund und voller Falten war.
    »Sei willkommen, mein Schatz, Junis!«, überraschte ihn ihre Stimme.
    Der Koffer fiel ihm aus der Hand und prallte auf den Boden. ›Dann bin ich also Junis‹, sagte er zu sich. ›Wie der Stimmenbesitzer will sie, dass ich mein Bruder Junis bin und bleibe. Es entspricht dem, was wir in der rätselhaften Nacht in der geheimen Bar, der Mekka-Bar, vereinbart haben. Sie will nicht wahrhaben, dass Junis nicht mehr zu ihr gekommen ist. Er war ein Teil der Geschichten jener Bar. Auch will sie nicht wahrhaben, dass ich vor ihr stehe: Jussif, nichts als Jussif, lebendig, aus Fleisch und Blut, mit seinen Sünden und Schwächen, mit seiner Trunkenheit und Nüchternheit, mit

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