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Jussifs Gesichter

Jussifs Gesichter

Titel: Jussifs Gesichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Najem Wali
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anderen Namen einbrennen – als hätten sie uns nicht schon genug erniedrigt und gedemütigt! –, selbst wenn sie dir diese Türe verrammeln. Ich bin wie du, ich will meine Geschichte mit dir nicht vergessen, gleichgültig, wie alt ich schon bin.«
    ›Gleichgültig, wie alt ich schon bin, sagt sie, als sei sie schon eine Greisin‹, dachte Jussif. ›Dabei deutet ihr ganzes Gesicht darauf hin, dass sie gerade erst vierzig geworden ist. Und sie spricht vom Altwerden.‹ Ist sie wirklich so erschöpft? Fühlt sie sich alt, weil ihr Körper nicht mehr der jüngste ist? Oder will sie durch eine Verwandlung ihres Äußeren eine andere werden, eine andere als Sarab, die ich als junges Mädchen an derUniversität kennen gelernt habe? Alles an ihr deutet darauf hin, wie erschöpft sie ist.
    »Aber ich bin erschöpft. Entschuldige, wenn ich dir das sage.«
    Ihre Stimme klang gebrochen. Es war, als wende sie große Mühe auf, die Tränen zurückzuhalten, die ihr aus den Augen springen wollten.
    »Ich sage dir ganz ehrlich, dass ich oft daran gedacht habe, das Haus auf ewig zu verlassen. Doch wann immer ich mit diesem Gedanken spielte, verstärkte sich mein Wunsch zu bleiben, weil ich wusste, dass du heimkehren würdest. Es war ein nicht ebenbürtiger Kampf zwischen mir und meiner Seele. Stets siegten wir beide, ich und meine Seele, und ich begann, meine Seele zu hassen. Ich fragte mich, warum es mir nicht gelang, ein anderer Mensch zu werden. Ja, jede Frau außer mir selbst. Oh, wie sehr wünschte ich, eine andere zu sein. Früher habe ich Mariam beneidet, die Frau deines Bruders. Woher sollte ich wissen, dass sie zeit ihres Lebens einen hohen Preis für ihre Kraft und Freiheit bezahlte? Damals habe ich sie um ihr Selbstvertrauen beneidet, um ihre Fähigkeit, nie zu zögern. Nie hatte sie Angst zu scheitern. Selbst vor dem Verschwinden deines Bruders, als er noch beim Militär war, hat sie behauptet, sie habe keine Ahnung, ob er ein wahrer Mann sei. Doch dass er sie verstehe, das wisse sie; schließlich würden sie sich von Kindheit an kennen. Aber sie wollte ihn um sich haben, am Esstisch, im Bett. Sie wollte einen Mann im Haus haben, nicht einen, der ständig unterwegs war und vorgab, seinen Pflichten nachzugehen. Selbst auf der Straße fragte sie sich, ob sie sich vor den Menschen dort fürchte, die sich zuflüsterten: ›Die Arme, ihr Mann ist weit weg.‹ Wie habe ich sie beneidet ... dieser Mut! Eines Morgens ist sie aufgewacht und hat sich gedacht: Ab sofort werde ich den Bruder meines Mannes als Ehemann annehmen. Und wenn ich genug von dieser Komödiehabe, wenn mir die Lage zu verzwickt wird, werde ich einfach rufen: Genug, Schluss, hier bleibe ich nicht! Ich will es an einem anderen Ort versuchen. Sie hat ein großes Opfer gebracht, als Einzige unter uns allein zurückzubleiben, eingesperrt in einem kleinen Haus. Wie habe ich sie beneidet, als sie die vier Mädchen aufnahm, die vier Töchter der ersten Frau, das fünfte im Bauch, und verkündete, sie werde gehen. Und sie ging. Hat nichts mitgenommen, ist einfach auf und davon. Und ich? Ich wollte sie nachahmen! Ich sagte mir: Ich werde Jussif verlassen und seinen Bruder dazu bringen, den Namen meines Ehemanns anzunehmen. Ich werde es machen wie Mariam. Mir war nicht klar, dass ich in allem auch dich nachahmte. Als ich deinem Bruder nach den vielen Jahren seines Untertauchens wieder begegnete (er tauchte plötzlich auf, klopfte an die Tür unseres erst vor kurzem bezogenen Hauses, trat mit dem Gehabe eines Hausherren ein und erkundigte sich nach dir) da fragte ich mich, ob ich mich nicht so verhalten sollte, als sei er mein Ehemann. Ich rief ihn bei deinem Namen und fragte ihn, ob er scherze, ob er schon wieder Namen und Persönlichkeit gewechselt habe. Ich dachte mir, dass ihm dieser Gedanke gefallen würde. Seine Schlechtigkeit und sein böses Wesen waren mir ja bekannt. Niemandem blieb es verborgen, was er seit seinem Eintritt ins Militär verbrochen hatte. Die erste Frau deines Bruders hat seine Schandtaten ans Licht gebracht und verkündet, sie lehne es ab, mit einem Henker zusammenleben. Die Namen seiner Töchter hat er entsprechend der Notschreie seiner Opfer ausgewählt: Rifqa – Milde, Rahma – Erbarmen, Schafaqa – Gnade, Ra’fa – Mitleid. Allen war das klar, nur dir nicht. Du wolltest es nicht wissen. Ich aber wollte es Mariam gleichtun und rief ihn beim Namen meines abwesenden Mannes, meines Mannes, den sie unaufhörlich von Gefängnis zu

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