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Jussifs Gesichter

Jussifs Gesichter

Titel: Jussifs Gesichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Najem Wali
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Gefängnis schleppten und sogar ins Irrenhaus einlieferten. Was, glaubst du, sollte eine Frau wie ich tun? Erst wird meinVater verrückt, dann mein Ehemann, und dann das ganze Land! Ja, mir blieb nichts anderes übrig, als ihn bei deinem Namen zu rufen. Es waren schwere Zeiten, die Zeiten der Henker und Mörder, der Einbrecher und herumstrolchenden Diebe. Hierbei war dein Bruder mit allen Wassern gewaschen. Er hat so getan, als sei er untergetaucht, während er seinen geheimen Tätigkeiten nachging. Hast du mitbekommen, wie sein Stern dieser Tage plötzlich aufging? Dabei war er anfänglich nur ein kleiner Fisch in der Armee. Jetzt besitzt er mehr als zwei lokale Zeitungen und nennt eine Druckerei sein Eigen. Schnell hat er sein Fähnchen nach dem Winde gedreht und sich bei den ausländischen Truppen angebiedert. Er hat deinen Namen angenommen und deine Geschichte, ja deinen Beruf gestohlen. Er behauptet, ein berühmter Journalist zu sein, der zahllosen Ungerechtigkeiten der früheren Regierung ausgesetzt war. Also haben sie ihm erlaubt, sich die Regierungsdruckerei unter den Nagel zu reißen. Und damit nicht genug. Er besitzt auch alle Müllhalden in Bagdads Umgebung. Er wurde zum Müllunternehmer, der von den Straßenkindern alles Erdenkliche an Abfall aufkauft. Dein gerissener Bruder im Besitz des Mülls! Er dachte ein wenig nach und schaute mich listig an. Sein schiefes Kinn schlackerte, und in seinem Gesicht – verunstaltet von Querschlägern in Kuwait oder im Norden oder in irgendeiner Hauptstadt, wer weiß das schon – blitzten die verschlagenen Äuglein auf, und seine scheußliche Glatze glänzte. Da wusste ich, dass er in das Spiel einsteigen würde. Ich glaube, er hat gut darüber nachgedacht und die Idee als passend empfunden. Er hat seine erste Frau genötigt, die Mädchen in ihre Obhut zu nehmen und ihnen vorzulügen, ihr Vater sei verrückt geworden. Sie hat sich gebeugt und sich über das kleine Taschengeld gefreut, das er ihr monatlich zukommen lässt. Du weißt ja, wie bestechlich die Menschen sind, wie sehr sie eine kleine Zuwendung gebrauchen können. Was blieb noch zu tun? Er nahmdeinen Namen an. Nichts fehlte mehr als deine Frau und das fünfte Töchterchen, das er Mariam abgenommen hatte. Damit alles nach seinen Wünschen lief und er unter deinem Namen leben und arbeiten konnte, musste er selbst das Opfer bringen, ein sauberer ehemaliger Häftling, ein angesehener und achtbarer Vater zu werden. Wer sich ihm in den Weg stellte, wurde weggetreten. Er brauchte nur einen geringen Betrag zu bezahlen, um Mariam beseitigen zu lassen. Sie wusste nämlich, wer er war. Auch für dich ist es kein Geheimnis. Die Menschen sind dieser Tage gegen ein kleines Entgelt bereit zu morden, und dein Bruder ist durchtrieben genug, sich das zunutze zu machen. Auch die Schandtaten aus seiner Vergangenheit solltest du kennen. Er braucht nicht lange zu suchen, um einen Profikiller zu finden. Tausende wie er sind dazu bereit, einerlei ob sie von hier stammen oder Zugereiste sind. Mörder machen keinen Unterschied zwischen Inland und Ausland. Das ist das Los der Henker: Sehr leicht machen sie eine Wandlung vom Täter zum Opfer durch. Jetzt musst du die Rolle übernehmen, die er dir aufgedrückt hat, die Rolle des Henkers. Für mich ist es ein Widerspruch in sich. Aber es gibt keinen Ausweg. Er wird dich umbringen, wenn du andere Vorstellungen hast. Beide seid ihr zu Stolpersteinen geworden; einer liegt dem anderen im Weg. Er wird dich zu Fall bringen. Beide müsst ihr verschwinden – entweder als Opfer oder als Henker. Er ist der Erste, dies zu sagen. Verschlagen, wie er ist, wäscht er seine Hände in Unschuld und vernichtet dich mit seinem Namen. Er behauptet, er müsse den Grundstein am ersten, am neuen Morgen legen, da er zu denen gehöre, die das Fundament für die Zukunft dieses Landes seien! Daran sei er gewohnt. Wer erkennt schon den Mörder im Gewand des Priesters? Und wer glaubt schon einer Frau wie mir in diesem Land, im Land der Siegreichen und der Gedemütigten, wie du es gern ausdrückst? Glaube mir, er verzeiht dir nicht, was du ihm seinerMeinung nach zugefügt hast: das kleine, von Mariam verlassene Mädchen, von dem er weiß, dass es ... dass es ... oh, warum erzähle ich dir diese Geschichte. Manchmal ist es besser, ein einziges Geheimnis für sich zu behalten, selbst wenn es die Geschichte beendet. Aber sei es, wie es sei.«
    Er sah sie an. Sie hatte unversehens zu sprechen aufgehört und wischte sich

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