Kabeljau und Kaviar
die Whiskeyreste, mutmaßte Max. Wahrscheinlich
war er nicht gerade betrunken, doch nüchtern war er ganz gewiß auch nicht.
Vielleicht war dies genau der richtige Zeitpunkt, ihm eine kleine Zugfahrt
vorzuschlagen.
»Ich nehme an, Sie können mit dem Zug
so gut umgehen wie Wouter«, bemerkte er taktisch geschickt. »Ich wollte, ich
könnte das auch. Meinen Sie, daß Sie meine Frau und mich ein wenig herumfahren
könnten?«
»Kann ich machen. Sobald hier alles
sauber ist.« Rollo war leider weit weniger benebelt, als Max angenommen hatte.
Sie mußten noch mindestens fünfzehn Minuten das Kehrblech schwingen, ehe er
bereit war, mit ihnen aufzubrechen.
Doch die Fahrt erwies sich als
Zeitverschwendung. Sie zockelten mit einer Geschwindigkeit von fünfzehn
Stundenkilometern durch schneebedeckte Wälder, deren Anblick nach kurzer Zeit
bereits eintönig wurde. Max stand neben Rollo, denn er traute dem
verräterischen Glitzern in den Augen des alten Schwerenöters nicht und sorgte
dafür, daß Sarah sich außer Greifweite auf der anderen Seite des
Lokomotivführerstandes aufhielt.
»Achte auf Fußabdrücke und andere
Spuren im Schnee«, hatte er sie gebeten, aber es gab nichts zu sehen. Alles war
glatt und glänzend wie der Zuckerguß auf den Schokoladentorten von Cousine
Theonia, mit Ausnahme eines dramatischen kleinen Fleckchens, wo Kaninchenspuren
in einer aufgewühlten Stelle endeten. Die Spuren eines großen Greifvogels und
einige kleine Blutspritzer zeugten davon, daß Wouter Tolbathy nicht der einzige
war, der in dieser Nacht hier draußen eines gewaltsamen Todes gestorben war.
Doch sie konnten nirgends auch nur den kleinsten Hinweis darauf finden, daß der
Mann mit der Kette hier irgendwo vom Zug gesprungen war. Max hatte nichts anderes
erwartet; er hatte sich dennoch verpflichtet gefühlt, alles zu überprüfen,
bevor andere hier ihre Fußspuren hinterließen und alles zerstörten, was hier
vorher zu entdecken gewesen sein mochte.
Jetzt blieb nichts weiter zu tun, als
Rollo für den kleinen Ausflug zu danken und zurück nach Hause zu fahren. Zuerst
jedoch benutzte Max die Sprechanlage in dem winzigen Bahnhof, um sich im Haus
nach den neuesten Nachrichten aus dem Hospital zu erkundigen.
»Gott sei Dank keine weiteren
Todesfälle«, berichtete er. »Aber Ihre Frau, wenn sie das war, scheint
schrecklich betroffen über die Sache mit Wripp.«
»Ha. Kein Wunder.« Nach dieser
vielleicht nicht sonderlich orakelhaften Bemerkung stapfte Rollo in Richtung
Haus davon. Sarah und Max gingen zurück zu ihrem Wagen.
»Wahrscheinlich hat der alte Wripp
früher ordentlich auf den Putz gehauen, meinst du nicht?« murmelte Sarah. »Ich
nehme an, er ist in einer Zeit groß geworden, als man es noch besonders fesch
fand, die Hausmädchen zu verführen. Und ich könnte mir denken, eine Frau, die
mit Rollo verheiratet ist, läßt sich gern mal ab und zu verführen.«
»Wer weiß«, sagte Max. »Vielleicht
verbringt Rollo ja auch seine Freizeit im Gartenhäuschen mit der Dame von
nebenan.«
»Wenn das wahr ist, kann sie auf keinen
Fall eine Dame sein. Gemeiner alter Schuft, wegen ihm habe ich mich die ganze
Zeit mit dem Besen abrackern müssen.«
»Armes Fischele. Diesmal fahre
ich. Warum machst du nicht einfach die Augen zu und hältst ein kleines
Nickerchen? Du kannst auch ruhig deinen Kopf auf meine Schulter legen«, schlug
er großzügig vor.
»Vielen Dank, Liebling.« Sarah fand das
Angebot zwar unwiderstehlich, wußte aber genau, daß sie nicht schlafen konnte.
»Was haben wir denn bis jetzt überhaupt erreicht?«
»Immerhin haben wir Rollo geholfen, den
Zug sauberzumachen. Und wir können jetzt so gut wie sicher sein, daß der
falsche Sommelier einer der Gäste war. Das habe ich zwar schon die ganze Zeit
vermutet, aber man sollte trotzdem immer alles nachprüfen. Du hast übrigens
auch eine tolle Nummer abgezogen, als du Rollo um den Finger gewickelt hast.
Alle Achtung. Ich werde dich dafür auf meine Lohnliste setzen.«
»Nett von dir. Und was machen wir
jetzt?«
»Nach Hause fahren und ins Bett gehen.«
»Du hast wirklich reizvolle Ideen.
Schatz, bist du sicher, daß ein Teewärmer das Richtige ist?«
»Ich bin sicher, daß wir ins Bett gehen
sollten.«
»Wann bist du das nicht? Aber es ist
trotzdem lieb von dir, daß du es sagst.«
Sarah entspannte sich in der beheizten
Dunkelheit und genoß das Gefühl, Max’ Mantelärmel an ihrer Wange zu spüren.
»Für deine Schwester Miriam habe ich eine wirklich
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