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Kälteeinbruch (German Edition)

Kälteeinbruch (German Edition)

Titel: Kälteeinbruch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Erik Fjell
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zunächst auf dem Vorplatz. Dann ging er um die Hausecke. Lief gegen den Wind. Schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete vor sich auf den Boden. Sein Blick folgte dem Lichtkegel. Zu seiner Linken befanden sich Felsblöcke, die dem glichen, der ihn auf dem Weg hierher beinahe das Leben gekostet hätte. Sie erstreckten sich bis ans Ende seines Blickfelds. Im Sommer konnte es kaum einen besseren Platz für eine Hütte geben, dachte Torp. Hier draußen hatte man jedenfalls seine Ruhe. Die Hütte, die seine Mutter auf Ullerøy geerbt hatte, lag neben einem Einfamilienhaus, das ein Elternpaar mit vier Schreihälsen beherbergte. Er hatte versucht, seine Mutter zum Verkauf der Hütte zu bewegen, damit sie ihm bei der Finanzierung seines neuen Autos unter die Arme greifen könnte, doch davon hatte sie nichts wissen wollen. Er könnte gern die Hütte haben, hatte sie gesagt, doch gnade ihm Gott, wenn er sie verkaufte. Sie sollte in der Familie bleiben.
    Torp leuchtete wieder nach vorn. Die Anzeige an seinem Handy zeigte nun einen stabilen Balken. Er drehte sich um und blickte auf die Südwand der Hütte. Er hatte bereits gut hundert Meter zurückgelegt. Er klemmte sich die Taschenlampe zwischen die Zähne. Weiße Atemwölkchen stiegen in regelmäßigen Intervallen aus seiner Nase. Wenn ihn eine Windböe im Gesicht traf, fühlte es sich an wie Nadelstiche. Ihm war kalt. Er zitterte so heftig, dass seine Zähne aufeinanderschlugen. Mit bebendem Zeigefinger scrollte er zur Nummer der Spurensicherung, doch dann probierte er es zuerst bei Anton. Der Hauptkommissar würde es mit Sicherheit zu schätzen wissen, wenn man ihn über den Fund informierte.
    Doch Anton ging nicht ran.
    Er wandte sich um. Blieb stehen und blickte in den Lichtkegel, der sich vor seinen Augen ausbreitete. In das Gestrüpp auf einem Felsen, der nur einen Steinwurf von der Hütte entfernt lag. Dort bewegte sich etwas. Oder bildete er sich das ein? Der Wind vielleicht? Es raschelte. Während er durch den Schnee stapfte, reckte er den Hals. Torp drehte sich wieder zu der Hütte um. Dilemma. Sollte er Kval rufen und sich bis in alle Ewigkeit damit aufziehen lassen, dass er im dunklen Wald Schiss bekommen hatte, oder hingehen und nachsehen?
    Er zögerte. Biss die Zähne zusammen. Spannte die kalten Muskeln an und versuchte, sich daran zu erinnern, dass er genau hierfür ausgebildet worden war. Dass er gerade wegen Situationen wie dieser Polizist geworden war – wegen der Spannung. Dass ihn das Unbekannte und Unvorhersehbare gereizt hatte. Das Problem war nur, dass es zwischen dem hier und der monotonen Routine in der Bereitschaftszentrale keinen fließenden Übergang gab.
    Er wünschte, Anton wäre hier.
    «Hallo?» Torp bemühte sich, autoritär zu klingen, doch als das Wort seinen Mund verließ, konnte er die Anspannung in seiner Stimme hören.
    Er bekam keine Antwort. Wandte sich wieder der Klippe zu. Leuchtete um sich herum den Boden ab. Er war mit tiefen Fußspuren übersät. Torp folgte ihnen. Jetzt zögerte er nicht mehr. Seine durchtrainierten Oberschenkel trugen seinen hundertneunzig Zentimeter großen Körper rasch davon. Die Spuren endeten. Wer immer hier entlanggegangen war, hatte sich ein paar Meter weit in Richtung Wald bewegt. Torp folgte den Spuren mit der Taschenlampe. Sie führten zurück zur Hütte.
    «Kval!», schrie Torp. «Kval!» Er sah zur Hütte. Nichts regte sich. Nichts war zu hören. «Verdammt», sagte er leise. Sein Herz pumpte die Unruhe in alle Gliedmaßen. Und wenn der Täter immer noch hier draußen war? Wenn er sie gesehen hatte und über die Treppe und die Kellerluke aus der Hütte geflohen war?
    Plötzlich wurde es still. Das Heulen des Windes verstummte. Auch das Meer, das sich an der Klippe brach. Er hörte nichts mehr außer seinem eigenen Herzschlag. Torp erstarrte. Die weißen Wölkchen, die ihm aus Mund und Nase gequollen waren, waren verschwunden. Dann begriff er, wieso. Er hatte aufgehört zu atmen, weil Kval noch immer nicht geantwortet hatte.
    Er rannte zurück. Versuchte, die zwanzig Zentimeter tiefen Spuren zu treffen, die er auf dem Hinweg hinterlassen hatte. Stolperte und versank fast im Schnee. Er rappelte sich wieder auf. Lief zur Hütte. Stellte sich an die Wand. Hielt den Atem an. Lauschte.
    Langsam bewegte er sich an der Hauswand entlang, bis er die Ecke erreicht hatte. Schob das Handy in die Tasche. Streckte vorsichtig den Kopf vor und blickte auf den Platz vor der Hütte. Alles war noch genau so wie vor

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