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Kafka am Strand

Kafka am Strand

Titel: Kafka am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Geht dir nicht das Herz auf, wenn du das hörst?«
    Der Stein schwieg. Der junge Mann wusste nicht, ob Steine Musik hören können oder nicht. Trotzdem redete er unverdrossen weiter auf den Stein ein.
    »Du hast es den ganzen Vormittag über gehört – bis jetzt habe ich ziemlich viel Mist gebaut. Nur an mich gedacht. Das kann ich jetzt nicht mehr rückgängig machen, stimmt’s? Aber wenn ich diese Musik höre, habe ich das Gefühl, als würde Beethoven zu mir sagen: ›He, Hoshino, mein Junge, es kommt eben so, wie es kommt. So ist das Leben. Ich hab selber ziemlich viel Mist gemacht. Nicht zu ändern. Schicksal. Also, halt jetzt einfach mal die Ohren steif.‹ Natürlich würde einer wie Beethoven nicht predigen, aber irgendwie kommt’s mir so vor, als würde er mir das vermitteln wollen. Dir nicht auch?«
    Der Stein schwieg.
    »Macht nichts«, sagte der junge Mann. »Das ist ja auch nur meine persönliche Meinung. Dann hören wir eben zu, ohne uns zu unterhalten.«
    Als er gegen zwei Uhr aus dem Fenster schaute, saß eine fette schwarze Katze auf dem Balkongeländer und spähte ins Zimmer. Hoshino öffnete das Fenster und sprach aus Langeweile die Katze an.
    »Hallo Katze, schönes Wetter heute, was?«
    »Ganz recht, Herr Hoshino«, erwiderte die Katze.
    »Mich trifft der Schlag«, sagte Hoshino und schüttelte den Kopf.

Der Junge namens Krähe
    Krähe zog langsam große Kreise über dem Wald. Sobald er einen vollendet hatte, flog er ein Stückchen weiter die nächste gewissenhafte Runde. Auf diese Weise wurden immer wieder neue Kreise am Himmel beschrieben, beschrieben und gelöscht. Wie ein Aufklärungsflieger spähte er dabei die ganze Zeit nach unten. Er schien etwas zu suchen, das jedoch nicht einfach zu finden war. Riesig wogend wie ein uferloses Meer breitete der Wald sich unter ihm aus. Seine verschlungenen, ineinander ragenden Äste hüllten ihn in ein dichtes, undurchsichtiges Gewand. Graue Wolken bedeckten den Himmel, und es war windstill. Ein rettendes Licht war nicht in Sicht. Im Moment war Krähe vielleicht der einsamste Vogel der Welt. Aber er konnte es sich nicht leisten, darüber nachzudenken.
    Endlich entdeckte er im Meer der Bäume eine Lücke und hielt direkt darauf zu. Es war eine runde offene Lichtung, die aussah wie ein kleiner Platz. Die Sonne beschien ein wenig den Boden, und das grüne Gras überwucherte ihn wie irgendein Zeichen. Am Rand lag ein großer runder Stein, auf dem ein Mann in einem leuchtend roten Trainingsanzug aus Jersey, einem schwarzen Zylinder und Bergschuhen mit dicker Sohle saß. Zu seinen Füßen lag eine khakifarbene Segeltuchtasche. Er sah ziemlich seltsam aus, aber Krähe wunderte sich nicht. Diesen Mann hatte er gesucht, und wie er aussah, war ihm ganz egal.
    Der Mann hörte den plötzlichen Flügelschlag, blickte auf und sah Krähe auf einem großen Ast in seiner Nähe sitzen. »Hallo«, sprach der Mann den Jungen fröhlich an.
    Der Junge namens Krähe gab keine Antwort. Er blieb auf dem Ast sitzen und starrte den Mann ausdruckslos und ohne einmal zu blinzeln an. Hin und wieder bewegte er ein bisschen den Kopf.
    »Ich kenne dich«, sagte der Mann und lüpfte mit einer Hand leicht seinen Zylinder. »Ich dachte mir schon, dass du bald kommst.«
    Der Mann räusperte sich, verzog das Gesicht und spuckte auf den Boden. Mit der Schuhsohle rieb er über die Stelle.
    »Zu rasten ist langweilig, wenn man niemanden zum Reden hat. Wie sieht’s aus, setzt du dich ein bisschen zu mir? Wollten wir uns nicht unterhalten? Ich sehe dich zum ersten Mal, aber ganz fremd sind wir uns nicht«, sagte der Mann.
    Krähe blieb stumm. Auch die Flügel ließ er eng am Körper gefaltet.
    Der Mann mit dem Zylinder schüttelte leicht den Kopf.
    »Aha, so ist das, du kannst nicht reden. Auch gut. Dann rede ich eben mit mir selbst. Für mich ist das genauso gut. Auch wenn du den Schnabel nicht aufkriegst, weiß ich doch, was du vorhast. Du willst mich aufhalten, stimmt’s? So weit weiß ich Bescheid. Ich habe dich durchschaut. Du willst nicht, dass ich weitergehe. Ich dagegen will weiter, denn für mich ist das eine einmalige Gelegenheit, die kann ich mir nicht einfach so entgehen lassen. Eine Chance, wie man sie einmal in tausend Jahren bekommt.«
    Er schlug sich mit der flachen Hand auf den Schaft seines Bergschuhs.
    »Im Endeffekt kannst du mich auch gar nicht aufhalten. Du hast gar nicht die Fähigkeit dazu. Zum Beispiel brauche ich nur mal kurz auf einer meiner Flöten hier zu blasen,

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