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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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und rollte sie auf. Er glaubte zu hören, wie sein Gegenüber aufatmete. »Du bist dir sicher?«
    »Es ist anders, als Ihr denkt!«, krächzte der Mann.
    »Es ist immer anders, als ich denke«, erwiderte Cyprian. »Ich dachte zum Beispiel, du seist mein Mann, ein Mitglied meiner Familia. Aber es war anders, nicht wahr? Aber es war anders. Für ein bisschen Salbe auf die Handfläche warst du auf einmal der Mann von Adam de Stratton.«
    »Niemals! Ich war immer Euer Mann!« Verweint und krächzend kämpfte der Mann um jedes Wort. »Wie hätte ich Adam de Strattons Mann sein können, wo ich doch wusste …« In einem Hustenanfall erstickte das erbärmliche Gestammel.
    »Was wusstest du?«, fragte Cyprian. »Du hättest besser gewusst, dass für Verräter mit mir nicht gut Kirschenessen ist.« Er bedeutete Robert den Korb mit dem Obst herüberzubringen, »Aber da du das ja offenbar nicht gewusst hast, essen wir eben Birnen.«
    Saftig und überreif lagen die Früchte im Korb. Cyprian hob eine heraus und hielt sie dem Gefesselten, der vermutlich vor Durst halb umkam, vor die Nase. »Köstlich, nicht wahr? Nach dem abscheulichen Sommer suchst du solche Exemplare in ganz Yorkshire vergeblich. Möchtest du sie probieren? Aber nicht doch.« Er zog die Birne zurück. »Ein so wackerer Getreuer wie du verdient eine besondere Frucht.«
    Liebevoll schob er die Birnen beiseite und zog die eine heraus, die auf dem Grund des Erntekorbes wartete. Wie ihre Schwestern war sie mit Sorgfalt poliert worden. Im Licht der Fackel funkelte ihr Metall. »Wie wird dir die wohl schmecken, Thibault, mein alter Weggefährte? Eine Frucht für einzigartige Gelegenheiten – die Birne des Schmerzes.«
    Thibault entfuhr ein Laut des Entsetzens. Cyprian streichelte die Flügel seines Werkzeugs, die an einem Schraubstock angeordnet waren wie zum Verzehr geschnittene Birnenviertel. Wurden sie dem Opfer in den Mund geschoben und drehte der, der die Folter vornahm, an der Schraube, so falteten sie sich mit jeder Drehung auseinander. Das Maß ließ sich je nach Lage bestimmen: Man konnte dem Delinquenten die Haut der Lippen zerreißen und ihn danach erlösen. Man konnte ihm auch die Kiefer brechen und ihn für den Rest seines Lebens zum Krüppel machen. In Fällen größerer Verstocktheit blieb die Möglichkeit, die Birne in eine andere Körperöffnung einzuführen und dem Verbrecher das Gedärm zum Platzen zu bringen.
    Cyprian spuckte aus. Er liebte die Schönheit des Geräts, aber die widerlichen Nebenwirkungen hätte er sich gern erspart. Er blickte über seine Schulter. »Seid Ihr mit dem Protokoll so weit, Robert?«
    Der Bucklige nickte eilfertig. Natürlich war überhaupt kein Protokoll vonnöten, denn der Fall des Verräters Thibault würde nie vor einem Gericht landen. Es war aber klug, den Tölpel glauben zu lassen, Cyprian hielte etwas gegen ihn in der Hand, und seien es nur ein paar geritzte Zeilen auf einer Wachstafel.
    »Dann widmen wir uns jetzt dem Genuss des süßen Nachtischs.« Cyprian trat vor und setzte die Birne des Schmerzes vor Thibaults verbissenen Zähnen an.
    Mit einem Aufschrei versuchte der Mann, den gefesselten Kopf zurückzuwerfen, und hatte im selben Moment die Birne im Mund. Es sah ausgesprochen lachhaft aus, wie er sich mühte, zu zappeln, zu spucken und zu schreien, und dadurch doch nichts erreichte. Cyprian schloss halb die Lider und drehte an der Schraube. Das Geheul war ohrenbetäubend.
    Im Geiste zählte Cyprian seine Herzschläge, während er die Schraube langsam weiterbewegte. Sieben – acht – neun – zehn. Dann ließ er los und zog die Birne zurück.
    Thibault schnappte nach Luft, spuckte Blut und keuchte.
    Cyprian ließ ihm eine kurze Spanne Zeit, damit er wiederfinden konnte, was von seiner Stimme übrig war. »Willst du sprechen?«, fragte er.
    Der Gefolterte nickte.
    »Robert – gebt ihm ein paar Tropfen Wein.« Das Getränk würde in den Wunden brennen, aber die Rede erleichtern.
    Thibault schlürfte so gierig, dass es Cyprian ekelte. »Und jetzt heraus mit der Sprache«, befahl er. »Ich möchte meine Frucht gern füttern oder säubern, ehe sie mir rostet.«
    »Ich habe alles befolgt, was Ihr befohlen habt.« Aus dem Gequälten platzten die Geheimnisse von Jahren wie Blut und Wasser aus den Wunden. »Wir hatten Adam in der Hand, die Beweise waren lückenlos. Wir haben ihm gesagt, er hat die Wahl: Wir liefern ihn dem König aus, ihm wird der Status als Kleriker entzogen, und er bekommt, was er

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