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Kains Erben

Kains Erben

Titel: Kains Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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entglitt seinen Händen und plumpste zurück auf die Bank. Zitternd langten seine Finger nach dem Becher.
    »Es tut mir weh«, sagte Vyves.
    »Was?«, stammelte Gideon, dem Wein von der Unterlippe tropfte.
    »Zuzusehen, wie du dich entwürdigst.«
    »Entwürdigst?«, rief Gideon. »Was gibt es noch zu entwürdigen an einem Mann, dem man jegliche Würde entrissen hat?«
    »Wer zählt denn in deinen Augen?«, fragte Vyves. »Die, die uns aus unseren Häusern jagen, die uns am liebsten aus diesem Land oder gleich von der Erde herunterjagen würden? Oder die Menschen, die dich lieben? Für mich warst du noch immer der Freund, den ich bewundert habe; für deine Frau warst du der Mond und die Sonne und für deine kleine Tochter der Held ihrer Welt. Du bist es, der das wegwirft, Gideon. Haben die anderen so viel mehr Bedeutung, ist unser Urteil gar nichts wert?«
    Aus wässrigen, blutunterlaufenen Augen sah der Freund ihn an. »Du hast kein Kind«, stieß er hervor. »Du weißt nicht, wie es sich anfühlt, wenn dir das Kind stirbt, weil du nicht Manns genug warst, es zu schützen.«
    »Du hast noch ein Kind«, erwiderte Vyves. »Willst du, dass deine Tochter auch stirbt, weil ihr Vater das Geld für ihre Milch versäuft?«
    »Nein«, sagte Gideon und bemühte sich, die Schultern zu straffen. »Nein, ich will nicht, dass sie mir noch ein Kind umbringen. Ich lasse mich taufen, Vyves. Ich mache diesem Elend ein Ende.«
    Vyves begriff. Es klang so einfach. In der Chancery Lane gab es ein Haus, das der König konvertierten Juden zur Verfügung stellte. Sie waren dort vor Verfolgungen sicher, konnten ihr altes Leben hinter sich lassen und ein neues beginnen. Niemand würde sie mehr beschuldigen, Silber von Münzen zu feilen, auf geweihte Oblaten zu pinkeln und Kinder von Christen an Kreuze zu nageln. Niemand würde sie mehr anspucken, beschimpfen, ihnen am Barthaar reißen oder auf offener Straße ins Gesicht schlagen. Sie würden Söhne bekommen und sie nicht beschneiden lassen, sie würden nie mehr ein Sedermahl essen, und ihre Töchter würden unter keiner Chuppa Hochzeit halten. Irgendwann würden sie vergessen, was ihre Väter und Mütter sie gelehrt und mit welchen Liedern sie sie in den Schlaf gesungen hatten. Es klang so einfach. Aber einfach war es auch, Wein zu trinken, um die Kanten des Lebens nicht mehr scharf zu sehen, und am nächsten Morgen erwachte man mit schmerzendem Schädel aus dem Rausch.
    »Wenn es das ist, was du willst, dann tu’s«, sagte Vyves. »Deine Familie, so nehme ich an, muss sich fügen, ohne gefragt zu werden. Deborah und Esther wünsche ich, dass sie lernen, es zu tragen, und der kleinen Noya, dass sie aufwächst, ohne sich zu erinnern. Dir wünsche ich, dass man dir erlaubt, ein ganzer Christ zu sein, so wie du ein ganzer Jude warst.«
    »Wie meinst du das?«, fuhr ihm Gideon ins Wort.
    »Ich wünsche dir, dass du nicht aufgibst, was dir gehörte, nur um dann festzustellen, dass man dir vor dem anderen die Tür zuschlägt«, antwortete Vyves, »Bist du wirklich als Christ unter Christen willkommen, sobald du die Taufe hinter dich gebracht und dein erstes Schwein verzehrt hast? Oder bleibst du auf ewig der Konvertit, der fortan in keiner Welt zu Hause ist?«
    »Aber ich will kein Jude mehr sein!« Gideon sprang auf, schwankte und hielt sich an der Tischplatte fest. »Es ist ein Glaube ohne Stolz und Würde, einer, der Männer zu Eunuchen macht.«
    »Das mag er sein, wenn du ihn so sehen willst. Dennoch ist es der deine. Jeder andere kann dir nur gnädig gewährt werden, diesen aber kann dir niemand nehmen.«
    Gideon ließ sich wieder zurück auf die Bank plumpsen und griff nach dem leeren Becher. Glasig starrte er vor sich hin, vermutlich ohne etwas zu sehen.
    Hinter der Theke trat der Wirt hervor, ein kleiner Mann mit riesigem Bauch. »Ihr macht, dass ihr wegkommt«, zischte er Vyves zu. »Dein Kumpan mag glauben, ich weiß nicht, was für einer er ist, dabei drücke ich nur ein Auge zu, weil ich ein weiches Herz habe. Aber jetzt ist’s genug. Meine Gäste sollen mich schließlich nicht für einen Judenfreund halten.« Er hatte keine Gäste. Aber natürlich hatte er das Recht auf seiner Seite.
    »Komm nach Hause«, sagte Vyves und half Gideon auf die Füße. »Was du mit dem Rest deines Lebens und darüber hinaus tun willst, entscheidest du besser nicht heute.«
    Leute spuckten aus, derweil er seinen betrunkenen Freund durch die Gasse schleifte. Das taten sie immer. Sie zogen ihre Kinder zu

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