Kaiserkrieger 4: Der Aufstand
verändern, und es gab diese Momente, da schreckte er vor der Reichweite seiner Pläne und der Kühnheit seines Vorhabens selbst zurück. Rheinberg war kein Mensch, der permanent an Selbstzweifeln litt, aber es war dieses Gefühl der Überforderung, das ihn mitunter schwanken ließ.
Seltsam, dass er in solchen Momenten immer an Aurelia, die ehemalige Sklavin, denken musste. War er einsam?
Spätestens, wenn er sich diese Frage stellte, bemühte er sich, an etwas anderes zu denken. Rheinberg war nie zu Selbstlosigkeit erzogen worden, aber sein Vater hatte ihm Pflichtgefühl vermittelt, ja manchmal eingeprügelt. Er hatte Selbstdisziplin, vielleicht manchmal mehr, als für ihn gut war. Aber er hatte sie und so vermochte er, sich eisern im Griff zu halten.
Wenn nur das Reisen nicht so anstrengend und zeitaufwendig wäre.
Und dabei war es gar nicht so weit von Ravenna nach Trier.
Eine Dampfeisenbahn, aus Bronze … das stand ebenfalls auf Dahms’ Liste.
Ah, selbst hundert Dahms wären nicht genug, schloss Rheinberg. Tausend brauchte er, mindestens tausend.
In Trier angekommen, erwartete ihn eine unangenehme Kälte, die ihn gar nicht an den eigentlich anbrechenden Frühling erinnerte. Die Aufgaben eines Heermeisters nahmen ihn sofort in Beschlag. Die Erarbeitung neuer militärischer Doktrinen, basierend auf neuer Waffentechnologie, war dabei nur ein Nebenaspekt. Ehe die neuen Waffen nicht in genügend hoher Stückzahl vorhanden waren, nützte es wenig, sich allzu intensiv mit der Erarbeitung von Handbüchern auseinanderzusetzen. Stattdessen musste Rheinberg einsehen, dass gerade in jenen Zeiten, die relativ friedlich waren, auch das römische Heer letztlich ein Bürokratiemonster war, das seinen obersten Anführer in einer Vielzahl an Dokumenten zu ertränken drohte. Erneut fielen Rheinberg Parallelen zum Deutschen Reich auf: Nicht nur, dass man in beiden Epochen Mahnmale und Statuen sehr schätzte, nein, auch die Liebe zur extensiven Verwaltung wurzelte offensichtlich bereits in der Antike. Der Heermeister hatte seine Mitarbeiter, die auch rasch gemerkt hatten, dass ihr Vorgesetzter wenig Freude am Papierkram empfand, und ihn daher nur mit den wichtigsten Dokumenten behelligten – aber derer waren auch immer noch mehr als genug, um Rheinbergs Stimmung auf einen Tiefpunkt sinken zu lassen.
Am dritten Tag nach seiner Rückkehr in die derzeitige Reichshauptstadt, nach einer ermüdend langen Sitzung mit einer Reihe offizieller Bedenkenträger, die Rheinberg gerne nach alter Barbarensitte mit der Klinge überzeugt hätte, wanderte der Heermeister wenig zeremoniell durch den weitläufigen Palast des Kaisers, der auch der Sitz seines Amtes war.
Er war auf der Suche nach einem Dokument. Es ging um eine Garnison im Osten, im möglichen Einfallsgebiet der Hunnen, und er musste etwas wissen über einen Vorfall mit einer abtrünnigen Hunnengruppe, die sich eine Zeit lang in dieser Region aufgehalten hatte. In einem Bericht hatte er einen Querverweis auf einen anderen Bericht gefunden, und um die Verwirrung zu erhöhen, war dieser natürlich auf Anhieb nicht aufzutreiben gewesen. Es war um Hinweise zu marodierenden Hunnengruppen gegangen, die in einigen Grenzregionen aufgetaucht waren, wo man diese Krieger bisher nicht beobachtet hatte. Es war spät, die Sonne war bereits untergegangen, und Rheinberg, der vom vielen Sitzen Rückenschmerzen hatte, spazierte selbst ins Archiv, um dort den wenigen anwesenden Bediensteten beim Suchen zuzusehen. Auf dem Weg dorthin, so hatte er sich vorgenommen, würde er in der Palastküche vorbeischauen, um eine kleine Stärkung zu sich zu nehmen. Mittlerweile wusste er ziemlich genau, welche der typischen römischen Speisen er mochte und auf welche er lieber verzichtete.
Als er den kleinen Speisesaal betrat, in dem in diesem Teil des Palastes für die Verköstigung der Staatsangestellten gesorgt wurde, waren nur sehr wenige Gäste anwesend. Im Palast wurde rund um die Uhr gearbeitet, da gerade wichtige Entscheidungsträger oft bis spät in die Nacht tagten oder auch Empfänge und Feste bis in die Morgenstunden andauerten. Lediglich die Masse der Bürokraten und Bediensteten ging regelmäßig zur Nachtruhe, die höheren Chargen sowie deren Zuträger arbeiteten häufig länger.
Nach einem kurzen Imbiss stand Rheinberg einige Minuten später im Archiv. Er war fast allein im Raum und die wenigen anderen Gäste beachteten ihn nur aus der Entfernung, mit Respekt und Abstand. Eine nebensächliche
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