Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI
barocken Ambiente dort ausgefallene Speisen offerieren … gerade in diesen Zeiten ist Innovation gefragt!«
Kehrer räusperte sich. »An mir soll es nicht liegen. Wir können alles anbieten, was auf dem europäischen Markt zu bekommen ist. Einmal pro Woche bestellen wir sowieso bei Rungis in Paris, also nur zu!«
»Haben Sie Schlangenfleisch, gebeizt in einer scharfen Chilisoße?«
»Ich schau mal nach!«
Es dauerte eine Weile, bis der Feinkosthändler sich wieder meldete. »Über die gewünschte Marinade muss ich mich schlau machen, aber Schlangenfleisch – null Problemo.«
Sie sprachen des Weiteren über Springbock, Krokodil, Affenhirn …
»Mein Kompliment für Ihre exquisiten Ideen«, wandte Kehrer schließlich behutsam ein. »Aber ob Ihre Gäste das in dieser … sagen wir geballten Form mögen?«
»Ich will, dass die Hochzeitsgäste sich an dieses Fest erinnern«, sagte der Mann mit der sonoren Stimme. »Nicht nur des exquisiten Datums wegen. Mal was anderes als immer nur Mozzarella mit Tomaten und Basilikum, Rinderbraten mit dreierlei Gemüse, Matjes mit Zwiebel und Apfel …«
»Das hatten Sie ja nun nicht gerade bestellt«, unterbrach ihn der Chef des überregional bekannten Cateringunternehmens. Kehrer bringt’s auf den Tisch des Hauses , war der Slogan seiner Firma.
»Ist mir nicht ausgefallen genug! Es gibt in anderen Ländern so viele Genüsse, von denen man nur träumen kann … Und ich will die Gäste meiner Tochter ein wenig verführen. Sie sollen nachher sagen: ›Die Heimbrecht-Hochzeit war der Höhepunkt des Jahres – unvergesslich, einmalig, sensationell.‹ Denn nicht zuletzt habe ich an diesem Tag Geburtstag, Herr Kehrer.«
»Sie sind der Kunde! Wie gesagt, wir können alles besorgen. Wenn wir rechtzeitig Bescheid wissen. Auch gebratene Ameisen und geröstete Zikaden aus China, wenn Sie so etwas dabeihaben möchten.«
Dann sprachen sie über einen Salat aus Straußeneiern und gelben Eierbovisten, eine sepiaschwarze Pasta mit neapolitanischer cozze in Tintenfischsud gegart, norwegischen Braunkäse, der monatelang in der Erde gelagert worden war und so stark roch, dass sich andere Völker die Nase zuhielten.
»Wissen Sie, Herr Kehrer, wenn wir in diesen Zeiten keinen Optimismus ausstrahlen, wenn wir nicht die Vorreiter einer sicheren Zukunft sein wollen, wenn wir nicht … Ich möchte, dass meine Hochzeitsgäste das Gefühl bekommen, dass sie bei uns in allerbesten Händen sind … Wir zeigen, dass es weitergeht, und zwar im positiven Sinne. Haben wir uns verstanden?«
»Vergessen Sie aber bitte nicht, dass es die Hochzeit Ihrer Tochter …«
»Lassen Sie das meine Sorge sein. Ich will das Brautpaar überraschen. Kein Wort zu niemandem. Das bitte ich mir aus.«
»Sie sind der Kunde!«, wiederholte Kehrer. »Ich hätte die Umbestellung gerne schriftlich.« Er machte noch mal eine kleine Pause. »Nur damit wir nichts vergessen.«
»Ich gebe sie morgen in die Post.«
Der Mann mit der sonoren Stimme hatte die Bestellung vor sich liegen. Seine Auswahl war längst getroffen. Tagelang hatte er im Internet nach ausgefallenen Speisen aus aller Welt geforscht und Homepages von Dreisternelokalen, internationalen Lieferanten für Systemküchen und Haubenköchen aus aller Herren Länder aufgesucht.
Er musste nur noch die Unterschrift hinkriegen.
Heimbrecht schrieb alle drei Hs mit großem Schwung, der Rest war kaum lesbar. Die Hs sahen aus wie das Lübecker Holstentor, massiv, unumstößlich, nicht einzunehmen. Drei Türme, die aus jeder Tiefebene herausragten.
Vorbilder für das Triple-H seiner Unterschrift hatte der Mann zu Genüge. Das schwungvolle H-H-H zierte Briefe, Verträge, Abschlüsse. Und das seit Jahren.
Die Daten für den Briefkopf hatte der Mann aus einem E-Mail-Anhang kopiert. Kein Problem also, die Bestellung auf den Weg zu bringen.
Nur die Unterschrift machte Mühe.
Seite um Seite bekritzelte er mit dem Triple-H und warf sie in den Papierkorb. Setzte neu an.
Erst beim vierzehnten Blatt hatte er den Schwung raus. Die Unterschrift wurde in einem Zug geschrieben. Kein Stocken, kein Zögern. Entschlossen bis in die Füllfederhalterspitze.
Er würde sich erst spät bei der Hochzeit der Tochter aus dem Hause Heimbrecht einfinden. So gerne er auch den Moment erlebt hätte, wenn die Köche, nach einem sich vergewissernden Blick zum Chef, die silbernen Deckel im exakt gleichen Moment von den Rechauds hoben und die Gäste dann die Speisen erblickten.
Zweiter Tod / erster
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