Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI
Bugatti-Kaschmirmantel. »Du willst mich ausschalten?«
Brandt lachte. Er stand vor der Kanzel und blickte hoch. »Hör zu, Möhringer«, zischte er. »Ihr habt den Verlag seit Jahren vernachlässigt. Ihr könnt von Glück reden, dass ich komme.«
Möhringer räusperte sich. Das tat er immer, wenn es darum ging, sich durchzusetzen. »Du weißt genau, dass der Verlag nicht groß genug ist, um drei Leute zu ernähren.«
Brandt lachte auf. »Das sehe ich genauso. Zieh dich warm an. Ich will dich nicht dabeihaben. Entweder du gehst freiwillig oder ich schmeiße dich aus dem Fenster.«
Möhringer stutzte. So einfach war das? »Ich habe Anteile am Verlag«, sagte er leise.
»Ich werde dich vernichten«, sagte Brandt. »Du bist Schrott. Wenn ich mit dir fertig bin, bist du tot.«
Möhringer hatte verstanden. Brandt wollte der neue Möhringer sein. Die Ratte wollte seine Bücher schreiben. Der Wettlauf zwischen Hase und Igel fand dieses Jahr in Holzwickede statt. Der Bessere drückte dem Holzwickeder Buch seinen Stempel auf.
Möhringer nickte. »Ich gebe nicht auf«, murmelte er. Er duzte sich mit Hoppy Kurrat. Er wusste, dass man den Ortsteil Opherdicke ›Op-Herdicke‹ aussprach und nicht ›Opher-Dicke‹, als würden da nur Beleibte wohnen. Er würde nicht kampflos aufgeben. Es war schon mancher in Holzwickede verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Er starrte Brandt an. »Du Ratte«, stammelte er.
Brandt lachte. Wie in einem schlechten Film lachte er laut auf und hörte sich dabei zu.
Seit diesem Treffen wusste Möhringer, dass seine Tage im Verlag gezählt waren. Nach Holzwickede würde nichts mehr sein wie vorher. Und er war froh, dass er seine Beretta mitgenommen hatte.
Dereinst, so heißt es in einer alten Sage, lebte in Holzwickede die Jungfrau Emrizza Amberhus, die mit ihrem Kaufmannsgeschäft in der Dudenrother Straße großen Reichtum anhäufte und dafür bekannt war, nicht mit den Armen und Kranken zu teilen. So wurde Emrizza Amberhus einsam und alt und eines Tages erschien ihr eine himmlische Gestalt und sprach: »Was du im Leben versäumt hast, wirst du nach dem Tode gutmachen!«
Da vermachte Emrizza all ihr Hab und Gut der Pfarrkirche und wurde nach ihrem Tod vor dem Kreuzaltar als Gönnerin bestattet. Und seit dieser Zeit erschien immer, bevor ein Brand ausbrach, über dem Quellteich der Emscher, den die Bauern bei Feuersbrünsten auch als Löschteich benutzten, eine schöne Frau mit den Gesichtszügen der Emrizza.
Sie war der Holzwickeder Feuermelder. Ihr Erscheinen warnte Feuerwehr und Rettungsdienst. Erst kürzlich trat der Löschzug Mitte der Feuerwehr Holzwickede an und blickte auf das vergangene Jahr zurück. Nur dreiundneunzig Mal wurde der Löschzug zwischen Januar und Dezember alarmiert. Bei fünfundzwanzig Einsätzen rückte die Feuerwehr zur Brandbekämpfung aus. Immer war sie gut vorbereitet gewesen, dank dem Vorwarnsystem von Emrizza Amberhus.
Möhringer fluchte. Der Kugelschreiber gab seinen Geist auf. Er stand am Quellbecken der Emscher. Die Worte flossen ihm zu. Das hatte er manchmal. Es gab Augenblicke, da wusste er genau, was er schreiben wollte. Nun machte ihm dieser Kugelschreiber einen Strich durch die Rechnung. Die Sonne schien, aber es war noch immer kalt. Schlecht gelaunt schaute er sich um. Er war allein und fror. Auf der angrenzenden Wiese ruhten sieben Heidschnucken. Zwei Autos standen auf dem Parkplatz, eine Fahne zappelte im Wind.
Er war zu Fuß hergekommen, der Weg hatte ihn durch den Park geführt. Das nasse Gras glänzte im Sonnenlicht. Die Forsythiensträucher zeigten ihre gelben Blüten. An manchen Büschen hingen bunte Plastikeier. Kirchgänger standen vor der Kirche und schauten in den Himmel. Die Krähen drehten ihre Kreise und sangen ihr trotziges Lied.
Begleitet von einem Entenpaar ging er weiter durch den Park. Später stieß er auf die Hauptstraße. Er lief über den Lünschermannsweg, vorbei an Rotbuchen, zum Emscherquellhof. Auch hier konnte man das Krächzen der Krähen hören, das Läuten der Glocken und das Rauschen der Autos auf dem Ruhrschnellweg. Je mehr er sich der Quellanlage näherte, umso mehr verschwand sie hinter Sträuchern und Bäumen. Schließlich lief er über den Holzsteg auf die Quelle zu, stand auf einem kleinen Steg und schaute auf die Fachwerkhäuser der Hofanlage. Der Himmel war blau. Holte die Welt Luft? Er hatte von der kleinen Helenbrauerei , dem neuen Werbepartner des Verlages, einen Holzwickede – Gemeinde mit Qualität
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