Kalendarium des Todes - Mord am Hellweg VI
– Kugelschreiber geschenkt bekommen. Aber der schrieb nicht. Sein Handy vibrierte.
»Ich bin es«, sagte Brandt. »Bist du gerade beschäftigt?«
Möhringer war überrascht. »Leck mich am Arsch, Brandt«, antwortete er. »Mit dir bin ich fertig.«
Zwei Tauben gurrten, eine kleine braune Maus lief durch das Laub. Plötzlich hörte Möhringer ein Wimmern. Brandt weinte.
»Es tut mir leid, Möhringer«, schluchzte er. »Ich bin ein schlechter Mensch. Ich will dir nichts Böses. Du bist doch für mich ein Vorbild.«
Möhringer traute seinen Ohren nicht. Was war denn das? Wurde da der Saulus zum Paulus, die Raupe zum Schmetterling, die Krähe zur Ente? Für einen kurzen Augenblick glaubte er Brandt, bis er am anderen Ende der Leitung dessen Lachen hörte, dieses gemeine Kichern, dieses überhebliche Gegrunze.
Möhringer schmiss vor Wut den Kugelschreiber ins Gebüsch. Brandt hatte ihn in den April geschickt. Welcher Erwachsene spielte noch solche Spiele? Möhringer zwang sich zur Ruhe. Er wollte dieser Ratte nicht zeigen, wie wütend er war.
»Du bist krank«, schrie er dann doch. »Du bist ein kranker Idiot. Was willst du von mir? Ich dachte, du wolltest mich ausradieren?«
»Entspann dich«, flüsterte Brandt. »Wir hatten keinen guten Start. Vielleicht können wir unseren Zwist aus der Welt schaffen.«
Möhringer sagte nichts. Er schaute der Maus zu, die noch immer um das Quellbecken huschte. Im trüben Wasser spiegelte sich das Hauptgebäude. Der blaue Himmel nutzte den Löschteich als Leinwand. Wie Wanderwege verbanden die weißen Striche der startenden Flugzeuge alle Wolkenfelder.
»Ich habe nicht viel Zeit«, sagte Brandt. »Ich treffe mich gleich mit dem Bürgermeister und Vertretern der Wirt schaft. Stell dir vor, die wollen alle bei Junges Wandern werben.«
Möhringer seufzte. Wenn das stimmte, dann war ihm der Sack eine Nasenlänge voraus.
»Was willst du, Brandt?«, fragte Möhringer erneut.
Am anderen Ende entstand eine lange Pause. Möhringer hörte, wie Brandt einen zweiten Anruf annahm und in die Warteschleife schickte. »Ich will einfach mit dir reden.«
»Was gibt es da zu bereden?«, fragte Möhringer.
»Lass uns unsere Unstimmigkeiten aus dem Weg räumen. Besuch mich im Etap-Hotel. Ich lad dich ein. Lass uns reden.«
Möhringer kannte das Hotel. Es lag im Norden in der Nähe des Flughafens. Hier stieg man ab, wenn man von Holzwickede nichts mitbekommen wollte. Möhringer atmete langsam ein und aus. Er musste etwas sagen.
»Natürlich, Brandt«, flüsterte er und musste sich räuspern. »Ich komme zu dir ins Hotel. Sagen wir um zwanzig Uhr?«
Sie beendeten das Gespräch.
Möhringer fühlte sich allein und ausgeliefert. Er starrte ins Wasser. Plötzlich sah er ein Gesicht. War das sein Gesicht? Spielte ihm sein Kreislauf einen Streich? Aus den Wolken des Himmels bildete sich ein Gesicht. Er sah es ganz deutlich. Da war eine Erscheinung. War das der Geist der Emrizza Amberhus? Die Welt hielt inne, um ihn zu warnen.
Möhringer hatte eine Idee. Das könnte Brandt aus dem Rennen werfen. Er war durch den Nieselregen in die Kronenschänke geschlichen. »Scheißaprilwetter.« Er wollte seine Beretta holen. Sicher war sicher. Sein Treffen mit Brandt konnte gefährlich werden.
Seine Schuhe waren durch das nasse Gras aufgeweicht. Er fror und sein linker Schuh gab bei jedem Schritt einen Ton von sich, als würde eine Ente gequält. So kam er auf die Idee. Überall begegnete er Enten, die es eilig hatten. Sogar vor der Kronenschänke lungerten vier der Vögel herum und starrten ihn neugierig an. Das war es. Nach dem Segensweg rund um Ergste, dem Meditationsweg bei Fröndenberg, und dem historischen Bergbaurundweg würde er einen Entenweg anbieten.
Eine Wanderroute, die sich dem Marsch der Enten anschloss. Er würde am Holzwickeder Bahnhof beginnen. Von hier aus ging es durch Teile des Zentrums. Immer den Enten nach. Weiter über die Massener und die Holzwickeder Straße Richtung Süden. In der Pizzeria Venezia könnte man zwischendurch eine Rast einlegen. Hier aß man vielleicht Entenbrustfilet. Alles war dem Thema untergeordnet. Später führte die Tour zum Haus Opherdicke und lief den Enten nach über einen Feldweg in Richtung Südwesten. Hier hatte man einen herrlichen Rundumblick bis hin zum Ruhrtal. Nun verlief die Strecke in Richtung Norden über die Autobahn A 1, durch das Sölderholz bis zur Emscherquelle. Der restaurierte Emscherquellhof gewährte nun einen Einblick über
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