Kaltblütig
aussagen wird. Der in den Zeugenstand treten und den Geschworenen schildern wird, wie Richard Hickock und Perry Smith vier hilflose Menschen gefesselt, geknebelt und abgeschlachtet haben.«
Schlagartig kehrte die Farbe in Hickocks Gesicht zurück.
»Ein Zeuge! Das kann nicht sein!«
»Weil Sie dachten, Sie hätten sie alle erledigt?«
»Sachte, hab ich gesagt. Mir kann niemand einen Mord anhängen. Schecks, ja. Ein paar kleine Diebstähle vielleicht. Aber ich bin kein Killer.«
»Und warum haben Sie uns dann angelogen?«, fragte Nye aufgebracht.
»Verdammtnochmal, ich hab Ihnen die Wahrheit gesagt.«
»Im Großen und Ganzen schon. Aber nicht immer. Was war zum Beispiel am Samstag, dem vierzehnten November? Sie sagen, Sie wären nachmittags nach Fort Scott gefahren.«
»Ja.«
»Und als sie dort ankamen, gingen Sie zur Post.«
»Ja.«
»Um sich nach der Adresse von Perry Smiths Schwester zu erkundigen.«
»Stimmt.«
Nye stand auf. Er trat hinter Hickocks Stuhl, legte die Hände auf die Rückenlehne und beugte sich hinunter, wie um dem Gefangenen ins Ohr zu flüstern. »Perry Smith hat keine Schwester in Fort Scott«, sagte er. »Hat er nie gehabt. Und wie es der Zufall will, ist die Post in Fort Scott samstagnachmittags geschlossen.« Er setzte hinzu:
»Denken Sie darüber nach, Dick. Das wäre vorerst alles. Wir sprechen später weiter.«
Nachdem sie Hickock hatten abführen lassen, gingen Nye und Church auf den Flur hinaus und verfolgten durch den Einwegspiegel in der Tür des anderen Verhörraums die Vernehmung Perry Smiths – sie konnten alles sehen, doch hören konnten sie nichts. Nye, der Smith das erste Mal sah, war von dessen Füßen fasziniert – Smith hatte so kurze Beine, dass seine Füße, kaum größer als die eines Kindes, nicht ganz bis zum Boden reichten. Smiths Kopf – das strähnige Indianerhaar, die irischindianische Kombination von dunklem Teint und kecker Verschmitztheit – erinnerte ihn an die hübsche Schwester des Verdächtigen, die nette Mrs. Johnson. Dieser dickliche, missgestaltete Kindmann hingegen war alles andere als hübsch; seine rosige Zungenspitze schnellte hervor, zuckend wie die Zunge einer Eidechse. Er zog ruhig und gleichmäßig an einer Zigarette, woraus Nye schloss, dass er noch »Jungfrau« war – sprich, noch nicht ahnte, worum es bei diesem Verhör eigentlich ging.
Nye hatte recht. Denn Dewey und Duntz hatten aus der Lebensgeschichte des Gefangenen mit professioneller Geduld die Ereignisse der vergangenen sieben Wochen destilliert und diese dann wiederum auf eine konzentrierte Rekapitulation des fraglichen Wochenendes reduziert – von Samstagmittag bis Sonntagmittag, vom 14.
auf den 15. November. Nachdem sie sich drei Stunden vorsichtig herangetastet hatten, konnten sie nun endlich zur Sache kommen.
»Perry«, sagte Dewey, »fassen wir doch noch mal kurz zusammen. Sie wurden also aus der Haft entlassen unter der Bedingung, dass Sie nie wieder nach Kansas zurückkehren.«
»Der Sonnenblumenstaat. Es hat mir fast das Herz gebrochen.«
»Und warum sind Sie dann doch dorthin gefahren? Ich nehme an, Sie hatten einen triftigen Grund.«
»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Um mir das Geld zu holen, das meine Schwester für mich aufbewahrte.«
»Ach ja. Die Schwester, die Sie und Hickock in Fort Scott besuchen wollten. Perry, wie weit ist es von Kansas City nach Fort Scott?«
Smith schüttelte den Kopf. Er hatte keinen Schimmer.
»Wie lange hat die Fahrt denn gedauert?«
Keine Antwort.
»Eine Stunde? Zwei? Drei? Vier?«
Der Gefangene sagte, das wisse er nicht mehr.
»Woher auch? Sie sind schließlich noch nie in Fort Scott gewesen.«
Bislang hatten die beiden Detectives Smiths Aussage mit keinem Wort in Frage gestellt. Smith rutschte nervös auf seinem Stuhl herum, befeuchtete seine Lippen mit der Zungenspitze.
»Es ist doch so. Nichts von dem, was Sie uns erzählt haben, stimmt. Sie haben nie auch nur einen Fuß nach Fort Scott gesetzt. Geschweige denn zwei Mädchen aufgegabelt und mit in ein Motel geschleppt …«
»Doch. Im Ernst.«
»Wie hießen die beiden?«
»Danach hab ich sie nicht gefragt.«
»Sie und Hickock haben die Nacht mit diesen Frauen verbracht und sie noch nicht einmal nach ihren Namen gefragt?«
»Das waren doch bloß Nutten.«
»Wie hieß das Motel?«
»Fragen Sie Dick. Der weiß so was. Ich vergesse diesen Quatsch immer gleich wieder.«
Dewey wandte sich an seinen Kollegen. »Clarence, ich glaube, es wird Zeit,
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