Kaltblütig
sich ans Werk, und Perry ging ihm dabei zur Hand. Sie wechselten das Öl, stellten die Kupplung ein, luden die Batterie auf, tauschten ein Ausrücklager aus und montierten neue Hinterreifen – alles notwendige Reparaturen, da der alte Chevrolet in den nächsten vierundzwanzig Stunden eine mörderische Strecke zurücklegen musste.
»Weil der Alte in der Nähe war«, antwortete Dick auf Perrys Frage, warum er nicht rechtzeitig im Little Jewel gewesen sei. »Er sollte nicht sehen, dass ich das Gewehr mitnehme. Sonst hätte er ja gleich gemerkt, dass ich ihm ’nen Bär aufbinde.«
»›Bären‹. Was hast du ihm denn erzählt?«
»Was wir ausgemacht hatten. Dass wir über Nacht wegbleiben, weil wir deine Schwester in Fort Scott besuchen wollen. Von wegen dem Geld, was du noch von ihr kriegst. Fuffzehnhundert Dollar.« Die eine von Perrys beiden Schwestern war tot, und die andere lebte wer weiß wo, jedenfalls bestimmt nicht in Fort Scott, einer kleinen Stadt etwa fünfundachtzig Meilen von Olathe.
»Und? War er sauer?«
»Warum sollte er sauer sein?«
»Weil er mich nicht leiden kann«, sagte Perry, dessen Stimme sanft und prononciert zugleich klang – eine Stimme, die, obwohl recht leise, jedes Wort deutlich hervorbrachte, wie ein Pastorenmund, der Rauchringe ausstößt. »Deine Mutter übrigens genauso wenig. Das habe ich gleich gemerkt – die beiden haben mich so abschätzig gemustert.«
Dick zuckte die Achseln. »Das geht nicht gegen dich persönlich. Sie haben’s nur nicht so gern, wenn ich mich mit einem Kollegen aus dem Bau rumtreibe.« Dick – zweimal verheiratet, zweimal geschieden, achtundzwanzig Jahre alt und Vater von drei Jungen – war unter der Auflage aus der Haft entlassen worden, dass er wieder zu seinen Eltern zog; die Familie, zu der außerdem ein jüngerer Bruder gehörte, lebte auf einer kleinen Farm bei Olathe. »Vor allem wenn dieser Kollege das Bruderzeichen trägt«, setzte er hinzu und tippte auf den tätowierten blauen Punkt unter seinem linken Auge – ein Insigne, ein weithin sichtbares Merkmal, das ihn als ehemaligen Strafgefangenen auswies.
»Verstehe«, sagte Perry. »Das kann ich ihnen nicht verdenken. Wirklich nette Leute, deine Eltern. Besonders deine Mutter.«
Dick nickte; das fand er auch.
Gegen Mittag legten sie ihr Werkzeug beiseite, Dick ließ den Wagen an, und zufrieden lauschten sie dem gleichmäßigen Brummen des Motors; sie hatten gründliche Arbeit geleistet.
Auch Nancy und ihr Schützling Jolene Katz waren mit der Arbeit des Vormittags zufrieden; die dünne, dreizehnjährige Jolene strahlte vor Stolz übers ganze Gesicht. Sie konnte kein Auge lassen von ihrem preiswürdigen Werk, unter dessen knuspriger Gitterkruste die noch ofenheißen Kirschen dampften, und dann umarmte sie Nancy, außer sich vor Glück, und fragte: »Mal ehrlich, habe ich den wirklich ganz allein gebacken?« Lachend erwiderte Nancy die Umarmung und bejahte – sie habe allenfalls ein wenig nachgeholfen.
Jolene wollte den Kuchen unbedingt sofort probieren – nicht nötig, ihn erst abkühlen zu lassen. »Komm, wir essen gleich ein Stück. Sie auch«, sagte sie zu Mrs. Clutter, die gerade in die Küche kam. Mrs. Clutter lächelte – versuchte ein Lächeln; sie hatte Kopfschmerzen – und sagte nein, danke, sie habe keinen Appetit.
Nancy hingegen hatte keine Zeit; Roxie Lee Smith und ihr Trompetensolo warteten auf sie, danach die Botengänge für ihre Mutter, wobei es zum einen um die Brautparty ging, die ein paar Freundinnen aus Garden City für Beverly auf die Beine stellen wollten, zum anderen um das Thanksgiving-Fest.
»Geh nur, Liebes, ich leiste Jolene Gesellschaft, bis ihre Mutter kommt«, sagte Mrs. Clutter und setzte, an das Mädchen gewandt, mit unüberwindlicher Scheu in der Stimme hinzu: »Natürlich nur, wenn Jolene nichts dagegen hat, dass ich ihr Gesellschaft leiste.« In jungen Jahren hatte sie einen Preis in Vortragskunst gewonnen; mit fortschreitendem Alter beschränkte ihre Stimme sich jedoch auf einen immer gleichen Tonfall, den der Rechtfertigung, und ihre Persönlichkeit hatte sich auf eine Reihe von Gebärden reduziert, die von der Angst, Anstoß oder Missfallen zu erregen, verschleiert schienen. »Ich hoffe, du hast dafür Verständnis«, fuhr sie fort, nachdem ihre Tochter gegangen war. »Ich hoffe, du hältst Nancy nicht für unhöflich?«
»Um Gottes willen, nein. Sie ist ein wahrer Schatz. Das finden alle. Nancy ist einmalig. Wissen Sie, was Mrs. Stringer
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