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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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achten müssen. Nein, danke. Wir finden es herrlich hier. Manche Leute – gesetzt den Fall, sie sind mit unserer Vergangenheit vertraut und wissen, was für ein Leben wir früher geführt haben – fragen sich vermutlich, ob wir uns hier draußen in den Weizenfeldern nicht ein klein wenig einsam fühlen. Wir wollten uns ja ursprünglich viel weiter westlich niederlassen. In Wyoming oder Nevada – la vraie chose. Wir hatten gehofft, dort auf Öl zu stoßen. Aber dann machten wir in Garden City halt, um Freunde zu besuchen – Freunde von Freunden, um genau zu sein. Sie hätten uns kaum herzlicher aufnehmen können. Sie redeten uns zu, doch hier zu bleiben. Und wir dachten: Warum eigentlich nicht? Warum pachten wir nicht einfach ein Stück Land und versuchen unser Glück als Rancher? Oder Farmer.
    Worüber wir uns übrigens immer noch: nicht einig sind – Viehzucht oder Landwirtschaft? Dr. Austin hat einmal gefragt, ob es uns da draußen nicht zu ruhig sei. Ehrlich gesagt, nein. Ehrlich gesagt, habe ich selten solchen Lärm erlebt. Ein Bombenangriff ist nichts dagegen. Züge pfeifen. Kojoten heulen. Und wilde Ungeheuer jaulen die ganze Nacht. Das reinste Tollhaus. Und seit den Morden geht mir das alles noch mehr auf die Nerven. Von anderen Dingen ganz zu schweigen. Unser Haus – es knirscht und kracht in allen Fugen. Aber ich will mich nicht beklagen.
    Es hat durchaus seine Vorzüge – jeden nur erdenklichen modernen Komfort – aber wie es ächzt und knarrt! Und wenn es dunkel wird und der Wind einsetzt, dieser grässliche Präriewind, dann hört man ein schauerliches Stöhnen. Also, wenn man ein wenig schreckhaft ist, kann die Fantasie schon mal mit einem durchgehen. Du liebe Zeit! Die armen Leute! Nein, wir kannten sie nicht persönlich. Ich habe Mr. Clutter nur ein Mal gesehen. Auf der Post.«
     
    Eines Nachmittags Anfang Dezember verkündeten gleich zwei der treuesten Gäste des Cafés, ihre Sachen packen und nicht nur Finney County, sondern den Staat verlassen zu wollen. Der eine war ein Pächter, der für Lester McCoy arbeitete, einen in West-Kansas wohlbekannten Gutsbesitzer und Geschäftsmann. »Ich hab mit McCoy gesprochen«, sagte er. »Ich hab versucht, ihm zu erklären, was in Holcomb und Umgebung los ist. Dass hier kein Mensch mehr schlafen kann. Meine Frau kann nicht schlafen und hält mich die ganze Nacht auf Trab.
    Also hab ich McCoy gesagt, dass es mir bei ihm zwar gut gefällt, aber er soll sich schon mal nach ‘nem Nachfolger umsehen. Weil wir demnächst wegziehen. Nach Ost-Colorado. Vielleicht hab ich da endlich wieder meine Ruhe.«
    Die andere war Mrs. Hideo Ashida, die mit dreien ihrer vier rotwangigen Kinder im Café erschien. Sie reihte sie vor dem Tresen auf und sagte zu Mrs. Hartman: »Geben sie Bruce eine Schachtel Cracker Jack. Bobby möchte eine Cola. Bonnie Jean? Ich weiß, wie dir zumute ist, aber komm – such dir was aus.« Bonnie Jean schüttelte den Kopf, und Mrs. Ashida sagte: »Bonnie Jean ist traurig. Sie will nicht weg. Von der Schule. Und all ihren Freundinnen.«
    »Aber, aber«, wandte Mrs. Hartman sich lächelnd an Bonnie Jean. »Das ist doch kein Beinbruch. Auf der Garden City High gibt es viel mehr nette Jungs als auf der Holcomb School. Du wirst schon sehen …«
    »Darum geht’s nicht«, sagte Bonnie Jean. »Daddy will mit uns wegziehen. Nach Nebraska.«
    Bess Hartman sah die Mutter an und wartete darauf, dass diese ihrer Tochter widersprach.
    »Ja, das stimmt, Bess«, sagte Mrs. Ashida.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, sagte Mrs. Hartman entgeistert und mit einem Anflug von Verzweiflung in der Stimme. Die Ashidas waren in Holcomb bei allen sehr beliebt – eine sympathische, ebenso lebhafte wie hart arbeitende Familie, die sich ihren Nachbarn gegenüber stets freundlich und großzügig verhielt, soweit ihre beschränkten Mittel dies erlaubten.
    »Wir tragen uns schon lange mit diesem Gedanken«, sagte Mrs. Ashida. »Hideo meint, woanders könnten wir es besser haben.«
    »Wann wollen Sie denn weg?«
    »Sobald wir verkauft haben. Aber auf keinen Fall vor Weihnachten. Wir haben nämlich eine Abmachung mit dem Zahnarzt. Über Hideos Weihnachtsgeschenk. Die Kinder und ich schenken ihm drei Goldzähne. Zu Weihnachten.«
    Mrs. Hartman seufzte. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Nur dass ich es sehr schade finde. Dass Sie uns verlassen wollen.« Wieder seufzte sie. »Wenn das so weitergeht, sind wir hier bald ganz allein.«
    »Mein Gott, glauben Sie, es

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