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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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können. Etwas Genaues wusste niemand, doch wie es schien, wollten »die Mädchen«, Beverly und Eveanna, das Grundstück zum Verkauf anbieten – auch wenn, wie er einen der Cafébesucher hatte sagen hören, »den Hof wohl keiner kauft, solang das Rätsel nicht gelöst ist«. Der Gedanke, dass sich Fremde »unser« Land »unter den Nagel reißen«, behagte Mr. Helm »ganz und gar nicht« – schon wegen Herb. Ein Gut wie dieses »sollte in der Familie bleiben«, meinte er.
    Vor einem Jahr erst hatte Herb zu ihm gesagt: »Ich hoffe, hier ist immer Platz für einen Clutter, und natürlich auch für einen Helm.« Gott, was sollte er bloß machen, wenn die Farm verkauft wurde? Er fühlte sich »zu alt, um nochmals von vorne anzufangen«.
    Aber es half alles nichts, er musste arbeiten, und das wollte er auch. Er war, wie er sagte, nicht der Typ, der »die Füße hochlegt und am warmen Ofen hockt«. Und doch war ihm die Farm neuerdings nicht ganz geheuer: das verschlossene Haus, Nancys Pferd, das einsam und verlassen auf dem Feld stand, der Geruch von Fallobst, das unter den Apfelbäumen verfaulte, und die Stille, die fehlenden Stimmen – Kenyon, der Nancy ans Telefon rief, Herbs Pfeifen, sein fröhliches » Guten Morgen, Paul«.
    Herb und er waren »prächtig miteinander ausgekommen« – zwischen ihnen war nie ein böses Wort gefallen. Warum also ließen ihn die Leute des Sheriffs nicht endlich in Ruhe? Es sei denn, sie glaubten, er habe »etwas zu verbergen«? Wahrscheinlich hätte er die Sache mit den Mexikanern lieber für sich behalten sollen. Er hatte Al Dewey gegenüber ausgesagt, dass am Samstag, dem 14.November, dem Tag der Morde, gegen sechzehn Uhr zwei Mexikaner, der eine mit Schnurrbart, der andere pockennarbig, auf der River Valley Farm aufgetaucht seien. Mr. Helms Angaben zufolge hatten die beiden an die Tür des »Büros« geklopft, Mr. Clutter war herausgekommen und hatte auf dem Rasen vor dem Haus mit ihnen gesprochen; etwa zehn Minuten später seien die Fremden »schmollend« wieder »abgezogen«. Mr. Helm nahm an, dass sie nach Arbeit gefragt und eine Absage erhalten hatten.
    Leider hatte er, obwohl er den Ablauf des fraglichen Tages wiederholt geschildert hatte, den Zwischenfall erst zwei Wochen nach der Tat erwähnt, weil er ihm, wie er Dewey erklärte, »gerade erst wieder eingefallen« war. Dewey und einige seiner Kollegen schienen ihm die Geschichte jedoch nicht zu glauben, als habe er sie nur erfunden, um sie zu täuschen, und hielten sich stattdessen an die Aussage des Versicherungsvertreters Bob Johnson, der den ganzen Samstagnachmittag mit Mr. Clutter in dessen Büro zusammengesessen hatte und sich »hundertprozentig sicher« war, dass Herb zwischen vierzehn und achtzehn Uhr zehn keine anderen Besucher empfangen hatte. Aber davon ließ Mr. Helm sich nicht beirren: Mexikaner, Schnurrbart, Pockennarben, sechzehn Uhr.
    Herb hätte ihnen gewiss bestätigt, dass er die Wahrheit sagte, hätte sie davon überzeugt, dass er, Paul Helm, ein Mann war, der »seine Gebete sprach und sein Brot redlich verdiente.« Doch Herb war tot.
    Tot. Genau wie Bonnie. Ihr Zimmerfenster ging auf den Garten, und dann und wann, besonders wenn sie wieder einmal »übel dran« war, hatte Mr. Helm sie stundenlang dort stehen und in den Garten hinausschauen sehen, als sei sie von dem Anblick wie verhext. (»Als kleines Mädchen«, hatte sie einer Freundin einmal anvertraut, »glaubte ich felsenfest daran, dass Bäume und Blumen sich in nichts von Vögeln oder Menschen unterscheiden.
    Dass sie dachten und miteinander redeten wie wir. Und dass wir sie hören können, wenn wir uns nur richtig anstrengen, unseren Kopf von allen anderen Geräuschen befreien, ganz still sind und die Ohren spitzen. Manchmal glaube ich das immer noch. Aber so still kann man gar nicht sein …«)
     
    Bei dem Gedanken an Bonnie hob Mr. Helm den Kopf, als müsse sie auch jetzt am Fenster stehen, ein Gespenst hinter Glas. Was ihn kaum weniger verblüfft hätte als das, was er tatsächlich sah – eine Hand, die den Vorhang beiseite schob, und Augen. »Aber«, so erklärte er später, »die Sonne stand auf dieser Seite des Hauses« – die Scheibe spiegelte das Licht, verzerrte schimmernd, was darunterlag –, und als Mr. Helm die Hand hob, die Augen beschirmte und ein zweites Mal hinsah, hatte der Vorhang sich geschlossen, und das Fenster war leer.
    »Meine Augen sind nicht allzu gut, und wer weiß, vielleicht hatten sie mir ja einen Streich

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