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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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macht mir Spaß, hier wegzuziehen?«, sagte Mrs. Ashida. »So nett wie hier sind wir noch nirgends aufgenommen worden. Aber Hideo ist nun mal der Mann, und er meint, in Nebraska finden wir eine bessere Farm. Ich will Ihnen was sagen, Bess.« Mrs. Ashida versuchte die Stirn zu runzeln, doch das ließ ihr glattes, pausbäckiges Gesicht nicht zu. »Ich habe mich lange dagegen gewehrt. Bis ich eines Abends sagte: ›Okay, du bist der Boss, ziehen wir weg.‹ Nach der Sache mit Herb und seiner Familie hatte ich das Gefühl, dass es hier nicht weiterging. Für mich persönlich, meine ich. Also lenkte ich schließlich ein und sagte okay.« Sie fischte einen Keks aus Bruce’ Cracker-Jack-Schachtel. »Mein Gott, ich komme einfach nicht darüber hinweg. Ich muss ständig daran denken. Ich mochte Herb. Wussten Sie, dass ich ihn als eine der Letzten lebend gesehen habe?
    Mhhm. Ich und die Kinder. Wir waren zusammen beim 4-H-Treffen in Garden City, und er hat uns nach Hause gefahren. Und da habe ich noch zu Herb gesagt: ›Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie vor irgendetwas Angst haben. Sie könnten in den größten Schwierigkeiten stecken, Sie würden sich immer irgendwie herausreden‹.«
    Sie knabberte nachdenklich an ihrem Keks, trank einen Schluck von Bobbys Cola und setzte dann hinzu:
    »Komisch, Bess, aber wissen Sie, was? Ich wette, er hat wirklich keine Angst gehabt. Ganz gleich wie es passiert ist, ich wette, er wollte es bis zum letzten Augenblick nicht wahrhaben. Weil es gar nicht passieren konnte. Ihm doch nicht.«
     
    Die Sonne brannte. Ein kleines Boot trieb in der ruhigen See vor Anker: die Estrellita, mit vier Personen an Bord – Dick, Perry, ein junger Mexikaner und Otto, ein reicher Deutscher mittleren Alters.
    »Bitte. Noch einmal«, sagte Otto, und Perry griff in die Saiten seiner Gitarre und sang mit weicher, rauchiger Stimme einen Smoky Mountain Song:
     
    Solange wir auf Erden wandeln,
    Zieht uns mancher in den Dreck,
    Aber liegen wir erst tot in unserer Kiste,
    Wird uns eine Lilie zugesteckt.
    Schenk mir Blumen, solange ich noch lebe …
     
    Eine Woche in Mexico City, dann waren Dick und er nach Süden weitergefahren – Cuernavaca, Taxco, Acapulco.
    Und in einem »Jukebox-Schuppen« in Acapulco hatten sie Otto kennen gelernt, einen herzlichen Burschen mit behaarten Beinen. Dick hatte ihn »aufgegabelt«. Aber der Herr, ein Hamburger Rechtsanwalt auf Urlaub, hatte bereits einen »Freund« – einen jungen Einheimischen, der sich Cowboy nannte. »Er stellte sich als vertrauenswürdig heraus«, sagte Perry einmal über ihn. »Hinterhältiger als Judas, aber urkomisch, der Junge, ein echtes Schlitzohr.
    Dick mochte ihn auch. Wir kamen prima miteinander aus.«
    Der Cowboy besorgte den tätowierten Tramps ein Zimmer im Haus eines Onkels, brachte Perry ein paar Brocken Spanisch bei und ließ ihn an den Annehmlichkeiten seiner Liaison mit dem Feriengast aus Hamburg teilhaben, in dessen Gesellschaft und auf dessen Kosten sie aßen, tranken und sich mit Mädchen amüsierten. Dicks Witze waren dem Deutschen offenbar eine gebührende Entschädigung für seine Pesos. Jeden Tag mietete er die Estrellita, einen Hochseetrawler, und zu viert fuhren sie damit die Küste ab. Der Cowboy spielte Kapitän; Otto zeichnete und angelte; Perry beköderte die Haken, träumte, sang und angelte ein wenig; Dick tat nichts – er stöhnte nur, beschwerte sich über »das ewige Geschaukel« und lag lustlos und benommen in der Sonne, wie eine Eidechse zur Siesta. »Das ist es«, meinte Perry.
    »So müsste es immer sein.« Dabei wusste er, dass dieses Leben bald ein Ende haben würde – heute war der letzte Tag. Morgen flog Otto nach Hause, und Dick und er fuhren nach Mexico City zurück – Dick hatte darauf bestanden. »Klar, Baby«, hatte er gesagt. »Alles gut und schön. Sich die Sonne auf den Pelz brennen zu lassen.
    Aber uns gehen langsam die Finanzen aus. Und wenn wir den Wagen nicht schleunigst verscherbeln, sind wir im Handumdrehen pleite.«
    Dicks Einwand war durchaus berechtigt, denn inzwischen hatten sie den größten Teil der Ware, die sie bei ihren Scheckbetrügereien in Kansas City erbeutet hatten, zu Geld gemacht – die Kamera, die Manschettenknöpfe, die Fernsehapparate. Auch das Fernglas und das graue Kofferradio der Marke Zenith hatten sie verkauft, an einen Polizisten in Mexico City, mit dem Dick sich angefreundet hatte. »Pass auf, wir fahren zurück nach Mex, verscherbeln den Wagen, und dann klappere ich

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