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Kaltduscher

Kaltduscher

Titel: Kaltduscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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eigentlich?«
    Für Antworten auf solche Fragen ist normalerweise Tobi zuständig, aber Arne hat ihm schon wieder ein neues, noch schwierigeres Schloss gegeben, und deswegen nimmt er Reize aus seiner Umgebung kaum noch wahr, also müssen wir ran.
    »Das erklär ich dir, wenn du mir erklärst, was Big Beat ist.«
    Oh, Gonzo ist auch nicht schlecht.
    »Ja, bitte! Ich wollte auch schon immer wissen, was Big Beat ist.«
    »Du als Musikkritiker eines so renommierten Blatts musst das doch irgendwie erklären können.«
    »Na ja, äh, also, äh…«
    »Na komm schon.«
    »Also ich sag mal so, bei Big Beat gibts ganz verschiedene Grundrhythmen, so Richtung Techno, Breakbeat und so, hm, und das Ganze so zwischen 85 und 160 BPM mit Bass Drum auf der Eins. Na ja, so in etwa.«
    »Vielen Dank! Endlich hab ichs kapiert.«
    »Und Anarcho-Breitcore?«
    »Hör gut zu: Da gibts auch ganz verschiedene Grundrhythmen, aber mehr so Richtung Hinterhouse und Euroklopf, meistens zwischen 50 und 80 beziehungsweise 130 und 2500 BPM, aber niemals zwischen 116 und 118. Und, ganz charakteristisch, Zufallsbass auf eins, zwo, drei oder vier.«
    »Oder irgendwo dazwischen.«
    »Äh, verstehe. Also was Komplexeres.«
    »Auf jeden Fall. Muss man sich reinhören.«
    »Danke euch.«
    »Gern geschehen.«
    Wir alle schaffen es, ernst dreinzublicken, bis sich der Prinz-Praktikant wieder trollt. Der Scheitelkokser tippt schon wieder auf seine nicht vorhandene Armbanduhr. Hinter ihm sehen wir Reto durch den Hofeingang reinkommen. Er sieht angestrengt aus.
    »Hast du etwa die ganze Zeit geputzt?«
    »Ja. Also nur mal so das Chröbschte.«
    »Na komm, nicht so bescheiden. Du bist ein Held.«
    »Setz dich. Ich hol dir ein Bier.«
    »Nein, irch bin noch nircht ganz fertig. Mir ist nurch das Putzmittel ausgegangen. Vielleicht kann irch mir hier etwas borgen.«
    »Putzmittel? Hier? Ich bitte dich. Riecht man doch, dass hier seit 1990 nicht mehr geputzt wurde.«
    Aber irgendwie hat Reto den typischen Gesichtsausdruck eines Mannes, den man besser nicht aufhalten sollte.
    »Okay, wenn wir jetzt nicht langsam anfangen, schlachtet uns DJ Zone.«
    »Tobi, du muss jetzt ganz tapfer sein.«
    »Hm?«
    »Gib mir das Schloss.«
    »Sofort. Warte, gleich hab ichs…«
    »Gib mir das Schloss!«
    »Ach Manno…«
    Sollte ich irgendwann mal in meinem Leben Kinder erziehen müssen, wird mir meine Zeit mit Tobi noch sehr nützlich sein. Ich warte, bis alle ihre Instrumente am Start haben, und gehe auf die Bühne. Heute habe ich mir fest vorgenommen, es mal mit einer anderen Einstellung anzugehen. Ich muss das sehen wie Punk-Erwin. Sich einfach freuen, dass Publikum da ist, und alles geben. Das überträgt sich dann ganz schnell auf die Band. Während Gregor den ersten Song anzählt, baue ich Körperspannung auf. Kurzes Aufatmen, als ich höre, dass Francesco diesmal die richtige Tonart erwischt hat, und los… Ja, da springen sofort Funken aufs Publikum über. Merkt man. Nur Lambert findet es nicht so gut. Er jault zum Steinerweichen und Amelie verschwindet nach ein paar Sekunden mit ihm aus der Tür.
    Allen Übrigen scheint es zu gefallen. Caio steht weit vorne und nickt anerkennend, obwohl ich immer noch keinen Fusselbart habe, und Vollbart-Lukas und Konsorten wagen schon die ersten Tanzschritte. Der Einzige, dem unser Auftritt nicht so gefällt, ist der finster dreinblickende Zottelbritenkünstler. Hat wohl eher mit großem Presseauflauf und Blitzlichtern gerechnet und nicht damit, dass hier auf einmal die Hausband im Zentrum des Interesses steht. Was mir wiederum nicht so gefällt, ist, dass Julia, anstatt sich auf uns zu konzentrieren, ganz eifrig dabei ist, Punk-Erwin die Taubstummensprache beizubringen. Aber davon sollte ich mich jetzt nicht ablenken lassen.
    Gerade als ich meine Stimme noch mal deutlich für den dritten Refrain anhebe und mich, um mein Engagement zu unterstreichen, ins Hohlkreuz fallen lasse, machen die Boxen einen lauten Knacks. Danach geben sie keinen Mucks mehr von sich.
    Ausgerechnet jetzt. Wir haben noch nicht mal den ersten Song fertiggespielt. Ich singe noch ein paar Takte weiter, aber das bringt nichts. Gesang, der mit einem Schlag von 500 Watt Verstärkerleistung auf unplugged umgestellt wird, klingt immer ein bisschen dünn. Vollbart-Lukas brüllt »Scheiß Ost-Sicherungen!«, aber noch während die Lacher verklingen, sehe ich, was wirklich passiert ist. Herr Wohlgemuth steht neben der Bühne und hat unseren Endstufen-Netzstecker in der

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