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Kaltduscher

Kaltduscher

Titel: Kaltduscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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Er hat, seit er heute Mittag aufgewacht ist, keine Stimme mehr, hat mir seine Mama erzählt.
    Tobi steckt seine Schlossknack-Ausrüstung wieder ein, und wir gehen zum gefühlten zwanzigsten Mal Richtung Proberaum. Und dann noch mal. Und dann noch mal. Als wir endlich die gesamte LKW-Ladung Amps, Endstufen, Boxen, Kabel und was man alles sonst noch so als Band braucht, obwohl man eigentlich nur einen mittelgroßen Raum mit anspruchslosem Publikum beschallen will, auf die Bühne gewuchtet haben, sind meine Finger kaum noch zu fühlen. Wir lassen uns seufzend auf die herumstehenden DDR-Stühle sinken und verschnaufen. Etwa zehn Sekunden später kommt Gonzo mit seinem Transparent an.
    »Na, was sagt ihr? Durfte ich netterweise auf Adrians und Elvins Agenturplotter rauslassen. Der kann sogar auf Stoffbahnen drucken. Sieht doch großartig aus, oder? Senfgelb als Akzentfarbe auf…«
    »Mich beeindruckt vor allem dein Timing, wenn es darum geht, nichts schleppen zu müssen.«
    »Jetzt nöl nicht rum. Gute Arbeit, Gonzo.«
    Es sieht wirklich fantastisch aus, was er da in Windeseile produziert hat. Einprägsamer Schriftzug aus für uns Mitteleuropäer nur bedingt lesbaren russischen Buchstaben und im Zentrum eine halbnackte Comicfigur mit grotesk verdrehten Armen.
    »Soll das Männchen eigentlich Andrej Rebukanow sein?«
    »Kann jeder selbst interpretieren.«
    Während die Instrumente verkabelt werden, habe ich Mußezeit. Theoretisch könnte ich jetzt Reto eine halbe Stunde beim Putzen helfen, aber dann müssten mich die anderen wieder extra holen, wenn Soundcheck ist. Nein, immer Wegrennen ist gar nicht gut für das Wir-Gefühl einer Band. Ich sitze lieber ein wenig herum und betrachte die schmierigen Ölgemälde des britischen Zottelkünstlers. Armer Kerl. Aufgeregt, wie er ist, scheint er zu erwarten, dass die Ausstellung sein großer Durchbruch wird. Dass die Vernissage nur als Vorwand dient, um trotz fehlender Schanklizenz eine amtliche Party feiern zu dürfen, kommt ihm gar nicht in den Sinn. Geschweige denn, dass seine Otto-Dix-trifft-Death-Metal-Bandplakat-Schmierorgien so dermaßen überhaupt keinen Nerv treffen, dass alles zu spät ist.
    Die Tür zwischen den beiden Schaufensterscheiben ist offen. Hin und wieder stecken Touristen ihre Köpfe rein, werden aber vom DDR-Geruch sofort dermaßen zurückgestoßen, dass sie gar nicht erst dazu kommen, auf die miese Zottelbritenkunst draufzugucken. Gehört wahrscheinlich zum Konzept des Ladens.
    Gonzo fummelt jetzt auf einmal hektisch an dem alten Stern-Radio rum, das in der Ecke auf dem Boden steht.
    »Du glaubst doch nicht wirklich, dass du damit Westsender reinkriegst?«
    »Psssst!«
    »Frrrrrbrtzlfrrrr… und hier hab ich noch eine Party für euch: Galerie Ostler, frrrrrrr… straße 26… frrrrrbrtzl… spielen Andrej Rebukanow… frrrr… Anarcho-Breitcore…frrrrkrckfrrrrrr… anschließend legt DJ Zone… frrrrrrrrrrrr… Indie-Electrotrance… brtzlknackfrrrrrrr…«
    »Sagenhaft! Eben noch keinen Namen gehabt, und jetzt kennt uns schon ganz Berlin!«
    »Tja, die Massenmedien…«
    »Offen! Ich hab das Chubb-Schloss aufgekriegt!«
    »Aha.«
    »Etwas mehr Begeisterung, bitte. Das ist hier nicht so ein Lullipulli-Mietwohnungsschlösschen. Mit solchen Dingern werden Villen und Anwaltskanzleien gesichert.«
    »Und was hast du davon? Willst du jetzt einbrechen gehen?«
    »Aber nicht doch. Schon mal was von Hacker-Ehre gehört? Wir machen das nur, um Sicherheitslücken aufzuzeigen.«
    »Tobi will Sicherheitslücken aufzeigen. Wer hätte das gedacht.«
    »Na gut, ich gebs ja zu. Es ist vor allem das Machtgefühl. Auch mal probieren?«
    »Nee, später vielleicht.«
     
    *
     
    Was so eine Radiodurchsage ausmacht. Es ist noch nicht mal elf, und die Pseudogalerie ist schon so voll, dass keiner mehr reingeht. Einer der Scheitelkokser muss Türsteher spielen, während der andere uns bearbeitet, dass wir endlich anfangen. Aber wir haben es nicht eilig. Früh anfangen heißt am Ende nur länger spielen, und bei unserem begrenzten Repertoire ist das nicht gerade das, wovon wir träumen.
    Ein Teil des Publikums besteht aus unseren Partygästen von gestern. Sogar Punk-Erwin ist gekommen, obwohl er immer noch keinen Piep rausbringt. Ein Dreikäsehoch mit Gelfrisur arbeitet sich durch die Menge zu uns durch.
    »Hallo, seid ihr die Band? Ich schreibe für den Musikteil vom Prinz. Auf Kiss FM ham sie gesagt, ihr spielt Anarcho-Breitcore. Da wollt ich mal fragen, was isn dis

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