Kaltduscher
Opa-Wohnung hängengeblieben.
»Was ist Tobi, kommst du?«
Er hört nichts mehr. Seine Blicke röntgen das Schloss. Er geht mit dem Gesicht so nah heran, dass seine Nase an der Tür platt gedrückt wird. Ab und zu gibt er ein paar anerkennende Laute von sich. Die Welt drum herum ist für ihn verschwunden.
»Junge, Junge, das nenne ich mal ein Schlösschen.«
»Aha.«
»Also das muss man dem Kerl lassen, von Sicherheit versteht er was.«
»Sehr interessant, können wir jetzt…«
Ohne sein Gesicht vom Schloss abzuwenden, streckt mir Tobi auf einmal seine Hand entgegen, wie ein Installateursmeister, der die Rohrzange von seinem Lehrling haben will.
»Ah, verstehe, das Schloss ist also keine alte Oma…«
Er sagt nichts, sondern wedelt nur hektisch mit den Fingern auf und ab, wie ein Installateursmeister, dessen Geduld man nicht länger strapazieren sollte. Ich hole das Pick-Set aus meiner Hosentasche und gebe es ihm. Er steckt es ohne Zögern ins Schloss und drückt, zieht, dreht und ruckelt. Gonzo ist inzwischen zurückgekommen. Ich bedeute ihm, still zu sein. Nicht, dass Tobi es sich noch im letzten Moment anders überlegt.
»Ha, von wegen alte Oma. Das wird ein Jahrhundertkampf. Stell dir ungefähr Bruce Lee gegen Chuck Norris in Die Todeskralle schlägt wieder zu vor.«
Gonzo und ich setzen uns auf die Eimer und warten. Tobi ruckelt weiter. Nach ein paar Minuten läuft ihm der Schweiß übers Gesicht.
»Ha, du glaubst, du kannst mich austricksen. Dann pass mal auf…«
Leider sehen wir nicht so richtig viel vom Jahrhundertkampf, aber anhand der Geräusche, die aus dem Schloss rauskommen, können wir uns lebhaft vorstellen, wie tapfer sich Tobis Metallhaken gegen die im Schließzylinder verborgenen Kampfmaschinen zur Wehr setzen.
Eine Weile später zieht Tobi seine Werkzeuge aus dem Loch. Sie sehen etwas verbogen aus. Er schnauft und wischt sich den Schweiß von der Stirn.
»Und? Nichts zu machen?«
Tobi fixiert weiter das Schloss.
»Hol mir Arne ans Handy.«
Seine Stimme ist ausdruckslos, geradezu unheimlich.
Ich rufe Arne an. Tobi hat inzwischen schon wieder angefangen zu ruckeln.
»Hallo Arne, Tobi muss ganz dringend mit dir sprechen.«
Ich halte Tobi das Handy ans Ohr. Er legt sofort los.
»Bohrmuldenschließzylinder, 25 Stiftsäulen, Pilzkernstifte mit Fangnut und doppelte Kernziehsperre.«
…
»Ja, hab ich schon gemacht, aber die Verblattung schießt mir dauernd in die Schächte.«
…
»Versuch ich mal… Nein, geht nicht. Keine Stiftbindung.«
…
»Ja, gut… da ist aber nirgendwo eine Führungsnut zu finden… ah, jetzt, wart mal…«
Mir schläft langsam der Arm ein, aber ich wage es nicht, Tobi zu stören. Er lässt nicht locker, obwohl er inzwischen völlig in Schweiß gebadet ist.
»Moment, jetzt hab ichs, das ist ein Doppelstift… ja, mach ich… ha, der ist schon mal raus aus dem Spiel… Nein, dreht sich immer noch nicht.«
Von meinem Arm ist nichts mehr zu spüren. Ich winke Gonzo heran, damit er das Handyhalten übernimmt. Wir wechseln uns jetzt im Drei-Minuten-Rhythmus ab. Aber Chuck Norris ist zäh. Erst nach dem fünften Handyhalterwechsel scheint der Kampf in die Endphase zu gehen.
»So, ich Versuchs jetzt noch mal mit weniger Drehmoment… Dreck, abgerutscht… Noch mal… Diese abgeschrägten Schlosskernlöcher machen mich wahnsinnig… Ja, ich weiß… Ha, es dreht sich!… Ja, danke, tschüss!«
Er hat es geschafft. Wir hören, wie sich die Riegel bewegen. Einen Augenblick später steht die Tür zur Schweigeopa-Wohnung offen. Tobi beguckt sich sein Werk. Am Schloss ist von außen nicht der kleinste Kratzer zu sehen. Er würde jetzt wohl gerne eine Triumph-Zigarre rauchen.
»Ha, wisst ihr was? Arne hat gesagt, dass es in ganz Berlin nur zehn Leute gibt, die so ein Schloss zerstörungsfrei aufkriegen. Dunkelziffer mitgerechnet.«
»Wirklich großartig Tobi. Du bist ein Champ.«
»He! Ihr wollt doch jetzt nicht etwa da reingehen?«
»Na, was denn sonst?«
»Komm, Tobi, nur kurz Wasser holen. Keiner wird was merken.«
»Das geht nicht… HE!«
Gonzo ist schon drin.
»Schau, Tobi, wir machen es einfach so, wir gehen geradewegs zum nächsten Wasserhahn und gucken nicht nach links und rechts. Alles, was in der Wohnung ist, geht uns überhaupt nichts an, und wenn wir doch was sehen, vergessen wir es sofort wieder. Wir brauchen nur W…«
»Wahnsinn, das müsst ihr euch ansehen!«
Giftspinnensammlung? Sado-Maso-Raum? Goldbarren? Ich lasse Tobis Arm los
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